Wiederkehrende Sonnen- und Mondfinsternisse



Vortrag von Klaus Meissen
auf dem Wiedersehenstreff von Wissenschaftsreisen in Hamburg
am 30. November 2014

1.) Einleitung

Schon im Altertum war durch Beobachtung und schriftlicher Dokumentation von Sonnen- und Mondfinsternissen eine Periodik bekannt. Die Zeiträume waren aber so groß, dass ein einzelner Mensch nur sehr selten persönlich ein wiederkehrendes Ereignisse wahrnehmen konnte. Mit der Verbesserung der Kenntnisse über die Himmelsmechanik kamen dann auch neben der Beobachtung Rechenmethoden auf, die vergangene Finsternisse bestätigten und für die Zukunft neue berechnen konnten.

2.) Bedingungen für Finsternisse

Sonnenfinsternisse sind eigentlich Erdfinsternisse. Das ist auch aus Sicht des Verursachers "Mond" klar. Der Mond schiebt sich zwischen Sonne und Erde und sein Schatten fällt auf eine kleine Region der Erde.
Eine Mondfinsternis tritt ein, wenn die Erde sich zwischen Sonne und Mond schiebt und wegen ihrer Größe meist einen großen Teil oder den gesamten Mond beschattet. Aus Sicht des Mondes ist dies eine Sonnenfinsternis.
In beiden Fällen muss offensichtlich die Bedingung für Finsternisse lauten:
Die drei beteiligten Körper müssen im Raum auf einer Linie stehen, bzw. nicht weit von dieser Linie abweichen.
Da wir alles aus Sicht der Erde betrachten, kann man auch mit Himmelkoordinaten argumentieren: Sonne und Mond müssen bei Sonnenfinsternis die gleichen ekliptikalen Koordinaten aufweisen, bzw. bei Mondfinsternis die gleiche aber negative Breite und einen Längenunterschied von 180 Grad haben. Für Sonnenfinsternisse ist also die notwendige Bedingung: Neumond. Für Mondfinsternisse ist die notwendige Bedingung: Vollmond.

3.) Die Mondbahn

Der Mond umläuft die Erde, genauer das Baryzentrum von Erde und Mond, auf einer elliptischen Bahn. Er benötigt dafür durchschnittlich 27,321662 Tage, der siderische Monat. Während dieser Zeit bewegt sich Erde und Mond ein Stück auf ihrer Bahn um die Sonne. Daher ist das, was wir üblicherweise Monat nennen, z.B. die Zeit von Vollmond zu Vollmond, etwas länger, nämlich $$\sand{Monat_{synodisch}=\frac{Jahr_{siderisch}\cdot Monat_{siderisch}}{Jahr_{siderisch}-Monat_{siderisch}} =\frac{365,256366 d\cdot27,321662 d} {365,256366 d-27,321662 d} =29,530589 d}$$ Damit ist ein erster Wert auf dem Weg zu einer Periodik gegeben: nur im Abstand von einem Vielfachen des synodischen Monats ist eine Finsternis möglich. Für verschiedene Zyklen sind unterschiedliche Vielfache mehr oder weniger gut geeignet. Diese werden weiter unten berechnet.

Da die Mondbahn gegen die Ekliptik um 5,15668983° geneigt ist, die Sonne aber immer auf der Ekliptik ist, läuft der Mond meistens zu den Voll- und Neumonden weit über oder unter der Sonne vorbei. Es gibt nur zwei Punkte auf seiner Bahn, die Knotenpunkte, bei denen er genau auf der Ekliptik ist. Diese beiden Bahnknoten liegen natürlich auf der Ekliptik und zwar um 180° auseinander. Die Verbindungslinie zwischen beiden Punkten nennt man Knotenlinie oder Drachenlinie. Der aufsteigende Knoten, der Punkt, an dem der durchlaufende Mond von negativen zu positiven ekliptikalen Breiten wechselt, ist der Kopf des imaginären Drachens, der absteigende Knoten ist der Schwanz. Auf verschiedenen Astronomischen Uhren ist ein sogenannter Drachenzeiger angebracht, der die jeweils aktuelle Orientierung der Drachenlinie anzeigt.


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Bei solchen Uhren kann man eine Finsternis daran erkennen, dass Sonnenzeiger und Mondzeiger sich gleichzeitig über dem Drachenzeiger befinden. Sind Sonnen- und Mondzeiger übereinander, also bei Neumond, so ist es eine Sonnenfinsternis. Sind die beiden Zeiger gestreckt mit 180° über dem Drachenzeiger, so ist es eine Mondfinsternis bei Vollmond.

4.) Berechnung von Finsterniszyklen

Es gibt verschiedene teils schon im Altertum gefundene Finsterniszyklen. Der bekannteste ist der Saros-Zyklus mit einer Länge von 223 synodischen Monaten = 6585,321428 Tagen oder 18,029313 Jahre. Mit Hilfe von Kettenbruch-Entwicklungen können die Zahlenwerte von allen Finsterniszyklen schnell gefunden werden. Man entwickelt das Verhältnis von $$\sand{\frac{2\cdot Monat_{synodisch}}{Monat_{drakonitisch}}= \frac{2\cdot 29,530589 d} {27,212221 d}=2,170392=2+\frac1{5+\frac1{1+\frac1{6+\frac1{…}}}}=[2;5,1,6,1,1,1,1,1,12,32,…]}$$ als Kettenbruch. Der Faktor 2 ist dabei als Faktor 1/2 beim drakonitischen Monat aufzufassen, weil es innerhalb dieses Monats zwei Punkte, die Knotenpunkte, mit den gewünschten Eigenschaften gibt. Wenn man den Kettenbruch auf verschiedenen Stufen abbricht ergeben sich Näherungsbrüche, die mit steigender Stufenzahl eine immer bessere Übereinstimmung mit der Ausgangszahl haben. In der folgenden Tabelle sind die Stufen 1 bis 10 aufgelistet.

Näherungen der nicht rationalen Zahl 2,170392... mit Kettenbruchentwicklung
StufeZählerNennerGenauigkeit in %Zyklus-Name
121-7,850735Nova
21151,364191Pentalunex
3136-0,171630Semester
489410,015665Hepton
510247-0,008245Octon
6191880,002895Anonymos
7293135-0,000983Tritos
84842230,000547Saros
9777358-0,000030Inex
1098084519-0,000001Jubilee Period

Der Zweck der so erhaltenen ganzzahligen Brüche ist, dass der Nenner das gesuchte Vielfache vom synodischen Monat und der Zähler das zugehörige Vielfache des drakonitischen Monats ist. Die folgende Tabelle zeigt das.

StufeZyklus-NameZeit von einer Finsternis zur nächsten
1Nova1/2 * 2 * Monatdra = 27,212 Tage = 0,075 Jahre
        1 * Monatsyn = 29,531 Tage = 0,081 Jahre
2Pentalunex1/2 * 11 * Monatdra = 149,667 Tage = 0,410 Jahre
        5 * Monatsyn = 147,653 Tage = 0,404 Jahre
3Semester1/2 * 13 * Monatdra = 176,879 Tage = 0,484 Jahre
        6 * Monatsyn = 177,184 Tage = 0,485 Jahre
4Hepton1/2 * 89 * Monatdra = 1210,944 Tage = 3,315 Jahre
        41 * Monatsyn = 1210,754 Tage = 3,315 Jahre
5Octon1/2 * 102 * Monatdra = 1387,823 Tage = 3,800 Jahre
        47 * Monatsyn = 1387,938 Tage = 3,800 Jahre
6Anonymos1/2 * 191 * Monatdra = 2598,767 Tage = 7,115 Jahre
        88 * Monatsyn = 2598,692 Tage = 7,115 Jahre
7Tritos1/2 * 293 * Monatdra = 3986,590 Tage = 10,914 Jahre
        135 * Monatsyn = 3986,630 Tage = 10,915 Jahre
8Saros1/2 * 484 * Monatdra = 6585,357 Tage = 18,029 Jahre
        223 * Monatsyn = 6585,321 Tage = 18,029 Jahre
9Inex1/2 * 777 * Monatdra = 10571,948 Tage = 28,944 Jahre
        358 * Monatsyn = 10571,951 Tage = 28,944 Jahre
10Jubilee Period1/2 * 9808 * Monatdra = 133448,732 Tage = 365,356 Jahre
        4519 * Monatsyn = 133448,733 Tage = 365,356 Jahre

Man kann aus der Tabelle erkennen, dass nach Ablauf einer Zykluszeit die Bedingungen für eine weitere Finsternis gegeben sind. Aber es gibt kleine Unterschiede der Zeiten, besonders bei den kleineren Stufen, die sich von einem Zyklus zum anderen aufaddieren und mit der Zeit zum "Auswandern" aus dem Bereich des Knoten führen. Wenn man also weiß, wie weit sich der Neumond vom Knoten entfernen kann ohne dass es zum Verlust einer Verfinsterung kommt, kann die maximale Anzahl von aufeinander folgenden Finsternisereignissen eines Zyklus berechnet werden. Dazu hilft das folgende Abbild eines in die Ebene projiziertes Kugeldreiecks.


Der auf der Ekliptik liegende Bogen $b_{rot}$ ist die maximale Entfernung vom Knoten, wenn noch gerade eine minimale Verfinsterung eintreten soll. Dabei ist der Bogenabstand $b_{blau}$ von Sonnenmittelpunkt bis Mondmittelpunkt gleich der Summe der Radien beider Scheiben. Dies gilt aber nur geozentrisch, also bei einer virtuellen Betrachtung der Finsternis vom Mittelpunkt der Erde aus. Reale Beobachter können sich auf der gesamten Erdoberfläche befinden und das tun sie auch! Daher ist der praktische Grenzwert des Abstands von Sonne und Mond deutlich größer, auch wenn dann die ersten und letzten Finsternisse eines Zyklus nur in den nördlichen oder südlichen Polarregionen noch knapp zu sehen sind. Die nun bekannten Werte für das Kugeldreieck sind: $$\sand{b_{blau} = 1° 34'=1,566667°}\quad\text{und}\quad \sand{\alpha=5,156690°}$$ Wenn man die ebene Trigonometrie benutzt, um $b_{rot}$ auszurechnen dann ergibt sich $$\sand{ b_{rot}= \frac{ b_{blau}}{\tan\alpha}= 17,360146° }$$ Korrekter ist allerdings die Anwendung der sphärischen Trigonometrie: $$\sand{b_{rot}=\arcsin{\frac{\tan b_{blau}}{\tan\alpha}}=17,641922°}$$ Mit diesem Wert von $b_{rot}$ ist nun die Lebensdauer von Zyklen bestimmbar. Der gesamte Bogen, auf dem Finsternisse auftreten, ist doppelt so groß wie $b_{rot}$, denn sowohl vor als auch nach dem Knoten hat der Mond noch eine ausreichende Nähe zur Sonne. Die Frage ist nun: wie lange dauert es, bis durch die kleinen Verschiebungen von einer Finsternis zur anderen der für Finsternisse zur Verfügung stehende Winkelbereich von $2\cdot b_{rot}$ aufgebraucht ist. Wie viele Finsternisse gibt es und wie lang ist die Lebensdauer eines Zyklusses? $$\tona{Verschiebung=\frac12\cdot Zähler\cdot Monat_{drakonitisch}-Nenner\cdot Monat_{synodisch} \\ Anzahl\;Finsternisse=\frac{2\cdot b_{rot}\cdot Monat_{drakonitisch}}{360°\cdot Verschiebung} \\ Lebensdauer=Anzahl\cdot Nenner\cdot Monat_{synodisch}}$$
StufeZyklus-NameVerschiebungAnzahl FinsternisseZyklus-Lebensdauer
1Nova-2,318 Tage1,1534 Tage = 0,09 Jahre
2Pentalunex2,014 Tage1,32196 Tage = 0,54 Jahre
3Semester-0,304 Tage8,771554 Tage = 4,25 Jahre
4Hepton0,190 Tage14,0617025 Tage = 46,61 Jahre
5Octon-0,114 Tage23,3132350 Tage = 88,57 Jahre
6Anonymos0,075 Tage35,4592116 Tage = 252,19 Jahre
7Tritos-0,039 Tage68,06271329 Tage = 742,85 Jahre
8Saros0,036 Tage73,97487146 Tage = 1333,71 Jahre
9Inex-0,003 Tage851,208998879 Tage = 24637,16 Jahre
10Jubilee Period-0,002 Tage1725,55230271802 Tage = 630438,85 Jahre

Nicht alle aufgelisteten Zyklen sind bedeutsam bzw. bekannt. Die ersten beiden enthalten eine Finsternisanzahl deutlich kleiner als zwei und der letzte Zyklus ist so lang, dass die Voraussetzungen für wiederkehrende Finsternisse nicht mehr gegeben ist. Die Mondbahn hat sich in dieser Zeit stark verändert und durch die größer Mondentfernung sind auch nur noch ringförmige Finsternisse zu erwarten. Die letzteren Argumente wurden auch schon bei "INEX" vorgebracht. Daher sind die Zahlen der Tabelle, die insgesamt ja nur Mittelwerte darstellen, bei so langen Zyklen nur eingeschränkt richtig.

Sind das denn nun alle möglichen Zyklen? Nein, denn alle Vielfachen der oben aufgelisteten sind ebenfalls Zyklen. Dabei sind besonders drei zu erwähnen: $$\tonc{Meton = 5\cdot Octon \\ Maya = 3\cdot Tritos \\ Exeligmos=3\cdot Saros}$$ Darüber hinaus sind auch alle ganzzahligen Linearkombinationen von zwei beliebigen Zyklen ein neuer Zyklustyp. In der Literatur sind mindestens weitere 60 solcher Kombinationen erwähnt, die allerdings in ihren Zykluseinschaften nicht besser werden, aber andere interessante Eigenschaften aufweisen können: $$\tonc{Unidos = 1\cdot Inex+2\cdot Saros}\quad\text{gleiches Datum nach 65 Jahren}$$ $$\tonc{Semanex = 3\cdot Saros-1\cdot Inex}\quad\text{Finsternisse am gleichen Wochentag}$$ Weitere in der astronomischen Literatur erwähnte Zyklen finden sich hier.

5.) Berechnung von Finsternissen

Wie bisher gezeigt, kann man mit wenigen astronomischen Werten Aussagen über Finsterniszyklen machen, ohne eine einzige Finsternis berechnet zu haben. Das soll aber hier nachgeholt werden. Dazu ist die Kenntnis der Position von Sonne und Mond auf den Himmelskoordinaten für jeden Zeitpunkt erforderlich. Was also gebraucht wird sind Funktionen der Zeit für die ekliptikalen Längen und Breiten beider Himmelskörper:

Function Sonne_Länge(JDatum)
.....
End Function
Function Mond_Länge(JDatum)
.....
End Function
Function Mond_Breite(JDatum)
.....
End Function

wobei $JDatum$ das Julianische Datum ist. Die Ausgaben der Funktion sind Winkel im Gradmaß. Die Funktion für die Breite der Sonne fehlt, weil der Wert für alle Zeiten identisch gleich Null ist. Die Formeln sind recht umfangreich, werden aber schon länger von mir benutzt z.B. für die Internetseite Tag und Nacht. Die hier dargestellten Funktionen sind in der von EXCEL unterstützten Sprache VBA geschrieben. Auf Internetseiten benutze ich PHP. Wenn diese Funktionen als gegeben vorausgesetzt werden, ist der Rest bis zur Finsternisberechnung eine Kleinigkeit. Zunächst berechnet man die Mondphase mit folgender Funktion:

Function Mondphase_nach(JDatum, Phase)
M = 29.5306
JDatum = JDatum + 0.0001
P = (Sonne_Länge(JDatum) - Mond_Länge(JDatum) - Phase) / 360
z = (P - Int(P)) * M + JDatum
Do
    P = (Sonne_Länge(z) - Mond_Länge(z) - Phase) / 360
    If P < -0.5 Then P = P + 1
    If P > 0.5 Then P = P - 1
    z = (P - Fix(P)) * M + z
Loop While Abs(P) > 0.00001
Mondphase_nach = z
End Function

Damit sind die Zeitpunkte von Vollmond (Phase=180) und Neumond (Phase=0) nach einem vorgegebenen Startdatum zu bestimmen. Die Ausgabe der Funktion ist ein Julianisches Datum. Der letzte Schritt zu einer Sonnenfinsternis ist die folgende Funktion:
Function Sonnenfinsternis_nach(JDatum)
T = JDatum
Do
    T = Mondphase_nach(T, 0)
    B = Mond_Breite(T)
Loop While Abs(B) > 1 + 34 / 60
Sonnenfinsternis_nach = T
End Function

Entsprechend einfach ist die Berechnung einer Mondfinsternis:

Function Mondfinsternis_nach(JDatum)
T = JDatum
Do
    T = Mondphase_nach(T, 180)
    B = Mond_Breite(T)
Loop While Abs(B) > 1 + 24 / 60
Mondfinsternis_nach = T
End Function

Der Unterschied liegt nur in der Phase und einem kleineren Grenzwinkel, was dazu führt, dass Mondfinsternisse etwas seltener sind (20. Jahrhundert: 228 SoFis und 147 MoFis).

Nun lassen sich mit EXCEL z.B. eine Reihe von aufeinander folgenden Finsternissen berechnen:



TD ?

6.) Das Saros-Inex-Panorama

Eine etwas kuriose Geschichte betrifft den niederländischen Amateurastronomen George van den Bergh (* 25. April 1890 † 3. Oktober 1966), der eine Tabelle mit allen Finsternissen aus dem "Canon der Finsternisse (1885)" von Theodor Oppolzer (* 26. Oktober 1841 in Prag; † 26. Dezember 1886 in Wien) entwickelte, bei der die Spalten alle Finsternisse der Saros-Zyklen, und die Reihen alle Finsternisse der von ihm benannten Inex-Zyklen enthielt. Diese Tabelle umfasste ca. 8000 Sonnenfinsternisse und wird Saros-Inex-Panorama genannt. Der ursprüngliche Sinn lag darin, den Streit über den "Besseren Zyklus" beizulegen, indem beide Zyklen vereinigt wurden. Die Tabelle hat jetzt nur noch die Bedeutung, dass die willkürliche Nummerierung der Spalten und Zeilen bis heute die Quelle der bekannten Saros-Nummern ist. Nach George van den Bergh ist ein Krater auf dem Mond benannt. In der deutschen Wikipedia ist sein Name nicht einmal erwähnt.





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