Spanien - Schauplatz der Sonnenfinsternisgeschichte 1905 und 2005

Von Reinhart Sitter

Viele Berufs- und Hobbyastronomen reisten zur Beobachtung der ringförmigen Sonnenfinsternis am 3. Oktober 2005 nach Spanien. Was aber nur wenige wussten, war, dass Spanien bereits einhundert Jahre zuvor Schauplatz einer Sonnenfinsternis gewesen war, zu der viele prominente Expeditionen und Einzelbeobachter gereist kamen.

Datum Finsternistyp Saros-Zyklus Dauer über Spanien ø
3.10.2005 Ringförmig 134 ≈ 4 Min. 11 Sek.
30.8.1905 Total 143 ≈ 3 Min. 30 Sek.

Gerade in der Zeit um die Jahrhundertwende erreichte das Finsternisfieber der Astronomen einen Höhepunkt. John M. Schaeberle vom amerikanischen Lick-Observatorium auf dem Mount Hamilton in Kalifornien konstruierte 1893 den "Jumbo", eine mehr als zwölf Meter lange Kamera. Sie war so schwer, dass sie - einmal aufgestellt - nicht nachgeführt werden konnte. Die Forscher mussten sie auf Stativen präzise auf den Ort ausrichten, an dem Sonne und Mond während der totalen Phase stehen sollten. Die Fotoplatten hatten eine Seitenlänge von rund 40 Zentimetern. Sie waren beweglich gelagert und folgten dem Lauf der Sonne während der Belichtung. Am unteren Ende der Jumbo-Kamera standen zwei Mitarbeiter und wechselten die Riesenplatten im Eiltempo.

Bis 1932 transportierten die Lick-Astronomen dieses Ungetüm zu fast jeder totalen Sonnenfinsternis. Nur die Antarktis ließen sie aus; sie war zu jener Zeit nur allzu schwer zu bereisen. Die Ausbeute waren im besten Fall pro Sonnenfinsternis zehn Aufnahmen der Sonnenkorona.

Finsternisverlauf 1905

Den Gipfel erreichten die aufwändigen Bemühungen während der Sonnenfinsternis vom 30. August 1905. Der Kernschatten lief innerhalb von zweieinhalb Stunden von Winnipeg in Kanada über Labrador, den Atlantik, Spanien und das Mittelmeer nach Ägypten. Das Lick-Observatorium ließ zwei weitere Jumbo-Kameras bauen, um in allen drei Ländern Aufnahmen machen zu können. Die Forscher wollten wissen, ob sich die Korona im Laufe einiger Stunden verändert. Doch die gewaltige Aktion geriet nur teilweise zu einem Erfolg. Der Jumbo in Labrador kam wegen Sturm und dichter Wolken nicht zum Einsatz. In Spanien bedeckten dünne Wolken die Sonne und ließen deshalb nur mäßige Aufnahmen zu. In Ägypten behinderte Staub in der Atmosphäre die Sicht.

Aus Deutschland reisten mehrere Expeditionen in die relativ nahe gelegene Mittelmeerregion. Eine Expedition rüstete das Königlich Preußische Meteorologische Institut Berlin aus und sandte sie nach Burgos in Spanien. Die Sternwarte in Hamburg-Bergedorf reiste nach Souk-Ahras in Algerien.

Die Sonnenfinsternis wiederholte sich nach dem Saros-Zyklus, rund 18jährig, in den Jahren 1923, 1941, 1959, 1977 und 1995. Diese zuletzt erwähnte Sonnenfinsternis fand am 24.10.1995 statt, dem 50. Geburtstag des Verfassers. Welcher Finsternis-Liebhaber kann das schon für sich in Anspruch nehmen?

Literatur:

Ekrutt, Joachim: Die Sonne.

Schramm, Jochen: Sterne über Hamburg - Die Geschichte der Astronomie in Hamburg, Seite 148, 158-166.

Die totale Sonnenfinsternis vom 30. August 1905

Expeditionsteilnehmer 1905

Von Theodor Grigull

Eine jede Sonnenfinsternis, mag sie sich in noch so entlegenen, weltabgeschiedenen Gegenden abspielen, erweckt in unserer Zeit das lebhafteste Interesse der Astronomen, und mit den größten Opfern an Zeit und Geld zieht er hinaus, um dem Himmel ein neues Geheimnis abzulauschen. Einen solchen Strom von Beobachtern aber, wirklichen sowohl wie auch Sonnenfinsternisbummlern, wie die Finsternis vom 30. August 1905, wird wohl sobald keine wieder heranlocken. In der Tat vereinigten sich alle Umstände, die Beobachtung dieser Finsternis besonders vielversprechend zu gestalten: einmal die verhältnismäßig lange Dauer ( rund 3 3/4 Minuten), dann die leichte Möglichkeit, die Totalitätszone zu erreichen und schließlich das für Ende August zu erwartende gute Wetter.

Die Totalitätszone erstreckte sich in einer Breite von rund 200 km vom Süden des Winnipegs über das südliche Ende der Hudson-Bai, den Norden von Neu-Fundland und den Atlantischen Ozean, betrat in der Gegend von La Coruna und Ferrol spanischen Boden, durchquerte die Pyrenäenhalbinsel, wobei Oviedo. Leon, Burgos, Valladolid, Saragossa berührt wurden, ging über die Baleareninseln Mallorca und Ibiza, über das Mittelländische Meer, betrat bei Philippeville und Bone Algier, lief über den Golf von Gabès, Tripolis, Ägypten, das Rote Meer und endete in Arabien.

Als der Verfasser sich zur Beobachtung der Finsternis entschloß, kam in erster Linie für ihn Spanien als Beobachtungsort in Frage, und zwar der nordwestliche Hafenort La Coruna, nachdem der Generaldirektor des Norddeutschen Lloyd Herr Dr. Wigand ihm in liberalster Weise zur Hin- und Rückreise auf einem Lloyddampfer freie Fahrt gewährt hatte.

Am Abend des 14. August verließ der nach Cuba bestimmte Dampfer "Coblenz" die Reede von Bremerhaven mit dem ersten Ziel La Coruna, das in den Mittagsstunden des 18. erreicht wurde. Für das Gelingen der Reise gab der Anfang das beste Omen ab, denn auf der ganzen Seefahrt gab es buchstäblich kaum eine Welle zu sehen; außerdem machte der Verkehr mit dem liebenswürdigen Kapitän Nahrath und seinen Offizieren dem einzigen Passagier das Leben an Bord so heimisch, dass die Zeit der Seereise nur zu schnell verging. In Spanien war damals schon alles in Bewegung ob der kommenden Finsternis.

Am Tage vor der Finsternis fuhr ich morgens 9 Uhr von Coruna ab. In der kurzen Zeit meines Aufenthaltes hatte ich mehrere Bekanntschaften gemacht, die ich ungern wieder abbrach. Ein Lancieroffizier, dessen Garnison Burgos war, schloss sich mir an, und so hatte ich Aussicht, in der menschenüberfüllten Stadt noch ein Unterkommen zu finden. Das nordwestliche spanische Gebirgsland bietet von der Eisenbahn aus die wunderbarsten Ansichten. Bald hat man unter sich tief ein Gewässer, dann geht es durch Tunnels, in schwindelerregender Höhe türmen sich unmittelbar am Bahnkörper Felsen und Berge auf, große Waldbestände an Kastanien und Korkeichen beleben die öde Gebirgsnatur, kurz man fährt durch ein ständig wechselndes Naturpanorama.

Mittwoch morgen gegen 6 Uhr kam der Zug in Burgos an. Die letzten 2 Stunden ging es über die traurige, öde Hochebene des inneren Spaniens. In aller Pracht erhob sich Frau Sonne, wie ein blaues Dach spannte sich der Himmel über die unabsehbare Fläche, alles verhieß günstiges Wetter.

In Burgos herrschte schon ein lebhaftes Treiben auf den Straßen, Händler verkauften bunte Gläser zur Beobachtung der Sonne. Alles drehte sich schon um die Eklipse.

Es war an sich noch hinreichend Zeit, zur Plaza Lilaia, einer Ebene im Süden der Stadt, wo eine große Reihe von Astronomen sich zur Beobachtung eingerichet hatten, hinzukommen. Aber der lebhafte Wagenverkehr erweckte meine Besorgnis, es möchte im letzten Augenblick kein Wagen mehr aufzutreiben sein. Obwohl der Beobachtungsplatz nur 3 km vor der Stadt lag, brauchte ich unbedingt ein Gefährt, um meine Instrumente fortzuschaffen.

Gegen 11 Uhr bekam ich endlich einen Landauer. Aber neue Qualen! Das Wetter wurde immer bedrohlicher. Morgens um 9 Uhr tauchten die ersten feinen Cirruswölkchen im Westen auf, allmählich immer mehr in die bekannten kompakteren Formen übergehend. Als ich abfuhr, sah es direkt nach Regen aus. Als ich ankam, war die Finsternis schon im Gange. Aber verloren hatte ich nichts, da die zunehmende Bewölkung eine andauernde Beobachtung verhinderte. Der große Platz war von berittenen Lanziers abgesperrt und von einer großen, erwartungsvollen Menschenmenge umlagert. König Alfons XIII. besichtigt mit seinem Gefolge die zur Beobachtung getroffenen Vorkehrungen. Mehrere Astronomen, die ich nach der Finsternis kennen lernte, waren entzückt von der Liebenswürdigkeit des jungen Fürsten, dessen Bemerkungen und Fragen auch auf eine gewisse Sachkenntnis schließen ließen. Die Herren der holländischen Expedition zog er sofort in ein deutsches Gespräch, mit dem Bemerken, das sie sicher lieber Deutsch als Französisch sprechen würden.

Mittelst einiger Kisten hatte ich meine Apparate bald aufgestellt. 11 Uhr 52 Min. (Greenw. Zeit) war das Eindringen der dunklen Mondscheibe in die helle Sonnenscheibe am rechten oberen Rande mit einem gefärbten Glase sehr schön zu sehen. Mein Arbeitsprogramm war: 1. die Corona zu zeichnen, 2. Thermometerablesungen, 3. einige photographische Aufnahmen zu machen, 4. Finsternisbande zu verfolgen. Den ersten Thermometerstand notiere ich  12 Uhr 20 Min., also 3/4 Stunden vor Eintritt der Totalität, mit 19,4°C. Von Westen her, d.h. mit der herannahenden Finsternis, kam ein ziemlich lebhafter Wind, der dicke Wolkenmassen vor sich hertrieb. Gleichzeitig sank das Thermometer, so dass ich um 12 Uhr 44 Min. bei abflauendem Winde nur 18,3 ° notieren kann. 12 Uhr 51 Min. fallen die ersten schweren Regentropfen. Die Sonne ist von dicken Wolken bedeckt und immer mehr wälzen sich von Westen heran. Ab und zu schaut sie durch weniger dichte Wolkenschichten, und dann ist die immer kleiner werdende Sichel mit bloßem Auge gut sichtbar. Die Sonne steht etwa 57° über dem Horizont. 30° unter ihr ist ein großes, blaues, wolkenloses Feld, in dem sich die Verfinsterung bequem abspielen könnte. In der Ferne sieht man einen Luftballon schweben, der Zeit nach der, in dem der um die spanische Luftschiffahrt hochverdiente Oberst Vives Y Vich und der Berliner Meteorologe Prof. Berson mit einem spanischen Physiker zur Beobachtung der Temperatur über das Wolkenmeer aufstiegen. Genau um 1 Uhr zeigt das Thermometer 16,3°. Im Westen der Sonne erscheint ein heller Stern: Venus. Der Regen wird immer stärker, und ich beginne meine Apparate unter einer großen Decke zu bergen. Die Totalität muß jeden Augenblick eintreten. Alles scheint verloren; die ganze Reise umsonst gemacht. Die Finsternis rückt immer näher. Die allgemeine Aufregung steigt. Dabei klärt sich die Gegend der Sonne etwas auf, während das Tageslicht abnimmt. Die ganze Landschaft zeigt ein unnatürliches, fahles Aussehen, die Wolken erscheinen fantastisch gefärbt, im Westen direkt schwefelgelb. Und immer dichter fallen die Regentropfen. Von Westen her wälzen sich die Finsternisstreifen wie ungeheure Schlangen über den Boden einher. Die Dunkelheit nimmt weiter zu. Plötzlich ein Geschrei der Volksmenge, Händeklatschen und Rufen, dann feierliche Stille. Wie ein Theatervorhang hat sich im letzten Augenblick die Wolke geteilt, hinter der die Sonne stand. Man erblickt die schwarze Mondscheibe, und um sie herum das milde, silberweiße Licht der Corona. Plötzlich tauchen am Rande der Sonne einige rote Punkte auf, die Protuberanzen, die sich im Fernrohr wie ein brennender Wald oder ein rotglühendes, wogendes Getreidefeld ausnehmen. Hinter mir zählt ein spanischer Beobachter eintönig die Sekunden. 3 Min. 32 Sek. Dauert die Totalität. 20 Sekunden habe ich in stummer Bewunderung des unbeschreiblich großartigen Naturschauspiels verbracht. Jetzt heißt es arbeiten. Mit Hilfe der beiden Fernrohre entwerfe ich einige Skizzen, die nachher kombiniert werden. Wie Besessene rasen einige Lanziers auf ihren Pferden vorbei. Hinter mir werden eintönig die Sekunden weiter gezählt. Zu zeichnen ist eigentlich nichts mehr. Also schnell noch einige photographische Aufnahmen! Die erste machte ich mit etwa 5-6 Sek. Belichtungszeit; die zweite sollte auch eine Zeitaufnahme werden. Aber in dem Augenblick, wo ich den Zeithebel herunterdrücken will, fällt der erste Sonnenstrahl in mein Auge.

Quelle: aus "Forscherfreude - ausgewählte Darstellungen aus allen Gebieten wissenschaftlicher Forschung", Leipzig, 1914.


Abbildung 1:
Ringförmige Sonnenfinsternis, Saros-Zyklus 134, über Spanien 2005, Foto von Reinhart Sitter, Passau, aufgenommen in  E-49400 Fuentesauco (Zamora/Salamanca), 3.10.2005, 10 h 56 m 07 s MESZ. Belichtungszeit 1/2000 Bl.38 f=800 mm, Sonnenfilter ND 30, Kodakchrome 200 ASA

Ringförmige Sonnenfinsternis 2005

Abbildung 2:
Philatelistische Belege zur totalen Sonnenfinsternis vom 24.10.1995 über Indien, siehe Geschichte von Saros-Zyklus 143

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Abbildung 3:
Ansichtskarten von der Sonnenfinsternis am 30. August 1905:

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