12. Tag, Freitag, 16. Juli
Auf dem Weg nach Antofagasta

Von Calama aus mußten wir heute 220 km quer durch die Wüste nach Antofagasta fahren. Es ging die Kordilleren bergab, wieder Stress für die Bremsen unseres Busses. Viele verlassene Minen grüßten traurig vom Wegesrand.

Ebenso traurig waren die zahlreichen Häuschen am Straßenrand anzusehen, die von vielen vielen LKW-Unfällen zeugten, als die Fahrbahn noch nicht so gut ausgebaut war wie heute. Die Angehörigen der tödlich Verunglückten haben damit ihren Toten eine Gedenkstätte an der Unfallstelle geschaffen, wie etwa bei uns die Kreuze. Sie wirkten gut gepflegt, oftmals stand eine kleine Bank davor.

Diese Grabstätte erzählt eine ganz besondere Geschichte. Eckehard Schmidt hatte uns zu ihr geführt, er erinnerte sich an seine erste Reise hierher: Die absolute Liebe zur Atacama ließ diesen englischen Geologen nur wünschen, hier in ihr einmal begraben zu werden. Die Macht des Schicksals meinte es anders, er starb in England. Da seine Angehörigen seinen Wunsch respektierten, ließen sie auf dieser Anhöhe, auf der er geforscht hatte, eine Gedenkstätte errichten.

In der Station Carmen Alto bogen wir ein in die Traumstraße der Welt. Sie führt von Alaska bis Feuerland, und ich freute mich, hierauf ein Stück entlang gefahren zu sein, denn ich lege sie in eine meiner Gedächtnisschubladen zur Seidenstraße in Anatolien, der Bernsteinstraße in Ungarn und der Salzstraße in Bayern.

Weiter ging´s nach Chacabuco, einer stillgelegten Salpetermine, heute Freilandmuseum.

Iwanowski: "Das Leben in den Minen: Arbeiten im Land des Todes"

Die Verhältnisse in den Minen spiegelten in gewisser Weise die Konstellation der Gesellschaftsklassen im Land wider: einer kleinen Gruppe von Ingenieuren und Verwaltungspersonal stand die große Masse der Arbeiter gegenüber. Diese verbrachten ihre Tage bei schwerster Arbeit unter der glühenden Wüstensonne, erhielten einen Hungerlohn und waren in den Minen fast völlig von der Außenwelt isoliert. Zu den Minen gehörten immer kleine Siedlungen, die einen typi-schen Aufbau hatten. Es gab das Verwaltungsgebäude mit dem Büro des Verwalters und einem Schreibsaal (heute würde man vielleicht Großraumbüro sagen), in dem die Lohnlisten geführt und eben alle Verwaltungsarbeiten erledigt wurden. Daneben stand oft das Haus des Verwalters, der Minenbesitzer selber lebte meistens in der nächsten größeren Stadt, wo er seinen Reichtum auch genießen konnte. Rundherum gab es Quartiere für die höherrangigen Angestellten, wie die Ingenieure z. B., und daneben die Arbeiterquartiere. Viele Minen hatten einen Club Social, in dem sich die Angestellten nach der Arbeit trafen, um im Restaurant zu essen, außerdem wurden hier Theateraufführungen und Tanzvergnügen veranstaltet. Die Kleiderordnung war streng (was vielleicht auf den Einfluss der Briten zurückzuführen ist, die damals im Minenwesen Chiles eine große Rolle spielten), und schon deshalb hatten die Minenarbeiter keinen Zutritt zu diesen Clubs. Für sie gab es Kneipen, meist üble Spelunken und manchmal auch Bordelle, viele Arbeiter waren ledig oder doch ohne ihre Familie in die Minen gezogen. Die Arbeiter erhielten ihren Lohn nicht in Bargeld, sondern in so genannten Fichas ausbezahlt, einer Art Spielgeld, das nur in der jeweiligen Mine Gültigkeit hatte. Damit konnten sie sich außerhalb der Mine praktisch nicht bewegen, und das hatte gleich mehrere Vorteile für den Minenbesitzer. Die Arbeiter liefen ihm nicht weg (dazu wären sie finanziell gar nicht in der Lage gewesen) und gaben ihren Lohn gleich in den mineneigenen Läden und Lokalen wieder aus; das Geld blieb sozusagen in der Familie. Im Gegensatz zu Südchile, das damals noch wenig industrialisiert war, entwickelten die Minenarbeiter im Norden schnell ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein, und so konnte es nicht ausbleiben, dass sie auch anfingen, sich zu organisieren: die Arbeiterbewegung Chiles hat ihre Ursprünge in den Minen der Atacama.

Auch heute ist der Große Norden noch die Schatzkammer der Nation, wenn auch inzwischen das Kupfer dem Salpeter den Rang abgelaufen hat.


Diese stillgelegte Salpetermine hat der "Diktator der Demokratie", Don Augusto Pinochet zu einem KZ umgestaltet, das besonders die Intelligenz Chiles beherbergte.


Voll des Zornes demonstrierte uns Jenny, wie sich die KZ-Häftlinge künstlerisch beschäftigt haben; hier der Autor Orlando Valdes Barrientos, der nach Deutschland emigrieren konnte und hier ein Buch über seine Gefangenschaft geschrieben hat. In "Anflug auf Chacabuco" fand ich sein Bild mit folgender kurzer Reportage:

"Würden Sie uns bitte Ihren Namen sagen?"

"Orlando Valdes Borrientos."

"Gehörten Sie irgendeiner Partei an?"

"Der Arbeiter - und Bauernbewegung für die Volkseinheit."

"Und seit wann sind Sie in Haft?"

"Seit dem 22. September."

"Warten Sie auf Ihren Prozess?"

"Ich habe keine Anklage. Ich weiß nicht, wessen man mich beschuldigt. Also ich ... weiß nicht, ob ich auf einen Prozess warte... oder was man meinetwegen entscheiden wird."


Und noch zorniger wurde Jenny, als wir hinübergingen in das ehemalige Theater: "In dieser ganzen Anlage ist seit 10 Jahren nichts mehr geschehen! Soll dieses Museum denn nie fertig gestellt werden? Chile bekommt auch von Deutschland Entwicklungsgelder für seine Kultur. Wo verschwindet das Geld? Könnt ihr Euch denn nicht bei eurem Kul-tusministerium beschweren? Das ist doch euer Steuergeld!"

Jenny, ich kann dich ja verstehen, aber ihr habt uns mit dem vorbildlich eingerichteten Museum in San Pedro und auch dem in Antofagasta (morgen werden wir es besuchen) bewiesen, wo unser Geld bleibt. Diese perfekte Einrichtung so hervorragender Museen ist wahnsinnig teuer. Und ich bin optimistisch: Auch Chacabuco wird eines Tages ebenso klug und wertvoll eingerichtet sein wie die beiden anderen, die wir kennen lernen durften - und von denen es sicherlich noch einige andere in Eurem langen Zipfel Südamerikas geben wird.

"Es waren nicht nur die Böden aus diesem Holz, sämtliche Möbelstücke auch. Das Militär hat die vielen Sitzplätze mitgenommen, das Theater regelrecht geplündert. Sogar das Treppengeländer!" Jennys nächste Zorneswoge ging hoch. "Als Touristenführerin habe ich die Aufgabe, immer nur auf Schönes aufmerksam zu machen, das kann keiner von mir verlangen!" Uns Touristen war es nur recht, dass uns nicht nur Honig ums Maul geschmiert wurde. Übrigens, der unverwechselbare Geruch der Oregon-Pine (ich vergleiche ihn mit den Pinienhölzern im Kleiderschrank als Mottenschreck; außerdem erinnert er mich an den Architekten Egon Eiermann, der dieses Holz für seine Bauten ebenfalls verwendet hatte - sowohl in der Deutschen Botschaft in Washington als auch in seinem geliebten Hotel Prinz Carl in Buchen) stieg mir hier im Theater der ehemaligen Salpetermine sofort in die Nase.

Zurück ging es auf die Panamericana. Wir steuerten jetzt diesen Gedenkfelsen an, der mitten auf dem Wendekreis des Steinbocks steht.

Geeignet für ein Foto unserer kleinen Gruppe:


Hockend links vorn: Eckehard, Wolfgang aus Stuttgart, Jörg, Klaus, Rainer, stehend Gerhard, Wolfgang aus Wien, Thomas aus Leipzig, Christian, Dagmar, Heinz, dahinter Ursula, Christians Frau, Susanne und Thomas aus München.

Jetzt begrüßte uns schon Antofagasta mit seiner Landseite - Wüste, einem Fort, Hochhäusern und seinem didaktisch unübertrefflich aufbereiteten Museum. Unser Hotel Radisson erwartete uns. Hier richteten wir uns ein, bis es Zeit war, das Astronomische Institut der Universidad catholica zu besuchen.

Hier empfing uns Professor Dr. Christian Nitschelm, lud uns in einen abgedunkelten Raum ein und zeigte uns seine Foto auf der Leinwand von der Sonnenfinsternis, denn auch er war zu passender Zeit auf der Osterinsel. Sein Konterfei habe ich aus dem Internet.

In der kommenden Nacht erwachte ich, weil mein Bett wackelte. Kurz, aber immer wieder. Ich überlegte, ob sich ein Aufstehen lohnte. Da sich die Meeresgeräusche vor unserem Fenster im dritten Stock aber nicht verstärkten, vertraute ich auf die Erdbebenfestigkeit des Hotels und auf den Lieben Gott, der uns vor einem Tsunami verschonte und schlief bald wieder ein. Auch Heinz schlief bald wieder, nachdem er sich überzeugt hatte, dass nicht ich es war, die an seinem Bett gerüttelt hatte