9. Tag, Dienstag, 13. Juli
San Pedro de Atacama

Jenny hieß die jetzige Reiseleiterin. Sie begrüßte uns am Flughafen in Calama (näheres im späteren Kapitel Calama-Antofagasta) und begleitete uns zum Bus, einem Seelenverkäufer mit freundlich grinsendem Fahrer, unserem ersten Atacamenjo, einem echten Indianer! Kofferraum war knapp. Da wir ja nun noch eine kleine Gruppe waren, kamen die Koffer mit "alle Männer mal mit anfassen!" hinten ins Innere des Busses. Die hintere Tür war mit Klebeband abgeklebt, da hätte sich sowieso niemand hingesetzt. Das Vehikel war ein großer Bus von VW. Staunen. Sowas gibt´s?! Bei uns jedenfalls nicht. Da wir nur noch drei Frauen waren, und den Männern Abenteuer wichtiger war als Komfort, passten wir uns an - und das war gut so. Jenny machte das alles nichts aus, sie kannte es wohl nicht besser. Unser heutiges Ziel war San Pedro de Atacama. Hier war Jenny zu Hause. Und der Busfahrer auch. Er ließ sein Gefährt, das ihm, wie wir bald bemerkten, Gefährte zugleich war, drauflos zockeln, immer bedacht, dass ihm ja nichts Böses widerfuhr. Bergauf ging alles recht langsam, lockere 5000 m waren immer mal wieder drin. Bergab kratschte es häufig. Die Bremsen gaben ihr Bestes, wie man das bei Altersschwäche so zu tun pflegt. Unser Fahrer half durch zeitweilige Motorbremse nach oder drehte einfach kurz den Zündschlüssel um. Das klappte immer, auch wenn wir so manches Mal auf enger mit Wüstensand bedeckter steil abfallender Fahrbahn fuhren, rechts steiler Berg, links steiler Abhang. Sandstürme gaben dem ganzen Unternehmen noch den besonderen Kick. Unser Atacamenjo, ein Künstler im Wüstenbusfahren! "Atacamenjos sind faul und träge, sie haben kein Interesse an Fortschritt", klärte Jenny uns auf. "Sie leben für sich in den Anden, in der Wüste, wir Chilenen sind "Fremde". Sie verachten uns und hätten nichts dagegen, wenn wir aus ihren Dörfern und Ortschaften wieder wegzögen. Sie dulden es nicht einmal, dass man ihre Friedhöfe besucht. Ihre Sprache, das Kunza, sprechen nur noch die Alten. Ganz früher nomadisierten die Atacamenjos, längst sind sie aber in ihren Oasen sesshaft geworden und betreiben Acker- und Gemüseanbau in wunderschönen Gärten. In ganz Chile besteht Schulpflicht. Die Kinder lernen von Klein auf Spanisch, so dass das Kunza schon fast vergessen ist. Inzwischen sind die Atacamenjos dahinter gekommen, dass man sich mit Geld schöne Sachen kaufen kann, das möchten sie sich nun doch verdienen." Jenny kannte bis jetzt den Fahrer noch nicht, er war Aushilfe. Er wurde ihr mit seinem Bus von der Agentur, für die sie arbeitete, zugewiesen. Jetzt lernte sie gründlich, zusammen mit uns, seine Fahrkünste kennen und wird ihn für die Zukunft der Agentur wärmstens auf Dauer empfehlen.

Jenny, mit ihren guten Deutschkenntnissen, hatte fünf Jahre in Kiel gelebt und damals schmerzliche Sehnsucht nach ihrem Heimatland. Ihre Therapie: Deutsch lernen. Sie besuchte die VHS und die an die Uni angeschlossenen "Deutsch für Ausländer" - Kurse. Dann durfte sie für drei Wochen in Chile Urlaub machen. Sie kam nicht mehr nach Kiel zurück. Die Vorgeschichte: Ihre Mutter, Chilenin, geschieden, mit zwei Töchtern, heiratete hier einen Kieler. Dieser wollte nach Hause zurück und nahm die ganze Familie mit. Sie leben noch heute in Kiel. Jennys Großväter waren nach Chile eingewanderte Franzosen und Kroaten. Einer von beiden vererbte ihr sein Restaurant in San Pedro. So geriet Jenny in die Wüste. Hier lebte sie mutterseelenallein und suchte Trost bei einem Mann. Das Ergebnis ist ein heute neun Jahre alter Sohn; inzwischen hat sie noch einen dreijährigen. Sie sorgt rührend für die beiden und möchte unbedingt, dass sie viel lernen. Besonders wenn Jenny als Reiseführerin unterwegs ist, aber auch sonst, hütet eine Atacamenja ihre beiden Kinder. "Sie zeigt mir nie ihre Gefühle, aber die Kinder lieben sie ..." Jenny erfindet Rezepte und bietet ihren Gästen "was Großmutter kochte" an. Auch wir waren an diesem ersten Tag in der Wüste ihre Gäste - und ihr Essen schmeckte vorzüglich. Hühnersuppe, Kartoffelbrei, Salat, Gemüse, Gemüsesuppe und Hühnchenbrust, zum Nachtisch etwas aus Nüssen, die hier an uns fremden Bäumen wachsen.

Unser Hotel, Casa da Don Thomas, gleicht einem Fort und ist der unten beschriebenen spanischen Bauweise nachempfunden. Es ist modern und vom Komfort her "Standard". Ein großer sandiger Patio wird von vier flachen Häusern umgeben. Durch ein Tor fuhr der Bus direkt vor den Eingang der Rezeption und Restaurant. Wir kamen etwas früh, so dass unsere Zimmer noch nicht belegbar waren. Unsere Koffer wurden bis auf weiteres in einem Raum untergebracht. Wir fühlten uns, auf die vier Häuser verteilt, für zwei Nächte gut aufgehoben. Jenny lud uns zu einem Spaziergang durch die Ortschaft ein. Uns fielen viele radelnde Touristen auf. San Pedro de Atacama ist zu einer Oase mutiert, in der Sprachen weltweiter Herkunft zu hören sind.

Aus dem Iwanowski

San Pedro de Atacama ist für viele Besucher der Anlaufpunkt im Norden und das mit Recht. Inmitten einer faszinierenden Wüstenlandschaft und umgeben von in Chile einmaligen Naturschauspielen, ist der Ort eine grüne Oase, in der es sich auch bei größter Hitze aushalten lässt.

Die Geschichte von San Pedro

Die Siedlung, die bis heute nicht mehr als etwa 1.000 reguläre Einwohner hat, kann auf eine lange und reiche Geschichte zurückblicken. Vor der Ankunft der Spanier war San Pedro ein wichtiges Zentrum für die Indios, die hier lebten. Aus dieser vorspanischen Zeit stammt eine große Wehranlage, die, drei Kilometer vom Dorf entfernt strategisch günstig auf einem Hügel steht: der Pukor von Quitor. In der fruchtbaren Oase entwickelte sich damals über Jahrhunderte hinweg die Landwirtschaft. Die Ureinwohner verteilten sich in 15 kleinen Siedlungen (Allyus genannt) über die Fläche der Oase, um den kostbaren Boden und das Wasser optimal nutzen zu können. Man fand auch Spuren, die davon zeugen, dass die Bauern hier über lange Zeiträume hinweg Lamas und Alpakas, die wild in der Gegend vorkamen, gezähmt und zu Haustieren gemacht haben. Dazu wurden Jungtiere gefangen und langsam an den Menschen gewöhnt. Diese Tiere waren dann der Grundstock für die Herden, die sich die Bauern im Lauf der Zeit zulegten.

Die Inkas eroberten San Pedro 1450. und obwohl sie nur 60 Jahre ihre Herrschaft ausüben konnten, bevor sie ihrerseits von den Spaniern ver-drängt wurden, drückten sie doch der einheimischen Kultur einen deutlichen Stempel auf. Auch das Abgabesystem, das aus dem gesamten Inkareich Reichtümer nach Cuzco fließen ließ, war schnell installiert und damit sichergestellt, dass auch die Atacamenjos ihren Beitrag zum Reichtum der Inkaherrscher leisteten. Diego de Atntagro kam auf seiner erfolglosen Expedition von Peru aus durch San Pedro und vier Jahre später (1540) auch Pedro de Valdivia. Das Haus, in dem er damals angeblich gewohnt hat, steht heute noch an der Plaza. Er musste einige Zeit in San Pedro auf Truppennachschub aus Peru warten, bevor er seinen Eroberungsfeldzug nach Süden fortsetzen konnte.

Im 19. Jahrhundert, zu Beginn der Industrialisierung, war San Pedro ein wichtiger Rastort für die unzähligen Esels- und Lamakarawanen, die Güter von Salta und Jujuy in Argentinien und von den Minen zum Hafen Cobija und retour beförderten. Hier fanden die Menschen einen Fluchtpunkt vor der glühenden Hitze der Atacama und die Tiere Wasser und Futter. Heute lebt ein großer Teil der Bevölkerung vom Tourismus. Fast jedes Haus ist entweder Hotel, Restaurant oder Souvenirladen. Aber an einem anderen Teil der Einwohner San Pedros geht dieser Boom vorbei, sie leben

in den Außenbezirken und in den umliegenden Aluys, in der Hauptsache von der Landwirtschaft. Sie beliefern den Markt in Calama und einige Minen mit Obst und Gemüse.

Sehenswertes in San Pedro

Da der Ortskern von San Pedro klein ist, macht die Orientierung keinerlei Schwierigkeiten. Hausnummern gibt es im ganzen Ort nicht, aber die Straßen sind so kurz, dass man trotzdem alles leicht findet. Die wichtigsten beiden Straßen in westöstlicher Richtung sind Antofagasta und Caracoles, an der letzteren liegt die Mehrzahl der Restaurants, Läden und Reisebüros.

Architektur der Schatten

In San Pedro lässt sich beispielhaft sehen, welche Kunstgriffe die Menschen, die in der Atacama leben müssen, bei der Errichtung ihrer Wohnhäuser anwandten. Viele der alten Bauten sind noch erhalten, und heute gibt es einen strengen Bebauungsplan, der regelt, welche Änderungen vorgenommen werden dürfen. Wie überall in Südamerika lassen sich drei

Epochen unterscheiden; eine von den Ureinwohnern geprägte, vorkoloniale, eine spanische und schließlich die Architektur der Mestizen. Die Spanier trafen in der Region San Pedros Dörfer an, die teilweise bis 1200 v.Chr. zurückdatierten. Als Baumaterial verwendete man damals Adobe, das sich aus den Materialien, die die Natur in der Umgebung hergab, herstellen ließ, und die Räume wurden kreisförmig angelegt. Charakteristisch für diese Periode ist auch, dass die Siedlungen immer an den Rand der Täler gelegt wurden, um kein kostbares Kulturland zu verschwenden. Später wurden die Räume quadratisch, und man fand zahlreiche Kellerräume, die die Ernte aufnehmen konnten. Die Atacamenjos verbrachten den größten Teil des Tages außerhalb ihrer Häuser, die hauptsächlich zum Schlafen da waren. Aus dieser vorspanischen Zeit ist kaum etwas übrig geblieben. Das heutige San Pedro stammt aus einer Phase um 1760, als der spanische Bürgermeister Argumanis eine systematische Urbanisation durchführte. Auch wenn die Spanier den Adobe als Baumaterial übernahmen, änderte sich der Baustil stark, die Häuser wurden jetzt um einen Patio herum gebaut, auf den sich alle Zimmer öffneten und durch den in heißen Tagen Luft in die Räume gelangte. Die heutigen Bewohner San Pedros haben einige Schwierigkeiten mit dem kulturellen Erbe, das ihre Häuser prägt. Viele haben aus finanzieller Not ihr Zuhause im Ortskern und damit die Möglichkeit, am Tourismus teilzuhaben, verkauft. Andere können die Investition, die eine dem Bauplan konforme Renovierung bedeuten würde, nicht aufbringen und lassen die Gebäude verfallen. Die Bewohner San Pedros fühlen sich durch diesen Plan stranguliert und fordern die Bereitstellung von Subventionen oder eine Lockerung des Plans, um ihre Häuser an und am Wohlstand, den der Tourismus in das Dorf bringt, teilhaben zu können.

Die Kirche San Pedro y San Pablo liegt an der Plaza und ist tagsüber meist geöffnet, so dass man sie ohne Schwierigkeiten von innen besichtigen kann. Sie ist wirklich sehenswert, da sie zu den schönsten und größten der Region gehört. Der aktuelle Bau stammt aus dem Jahr 1744, aber man weiß, dass hier schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts die Kirche gestanden hat. Der Dachstuhl ist aus dem Holz des Algarrobo-Baums und aus Kaktus-Holz gebaut, diese beiden Pflanzen wurden hier ursprünglich für alle Bauwerke verwendet. Die Hauptfigur des Altars ist einer der beiden Schutzheiligen des Ortes San Pedro. 2001 verbrannten einige der schönen alten Holzfiguren, das Feuer ist wohl als Akt desVandalismus zu werten.

Von der Plaza aus sieht man schon den modernen Bau des Museo Arqueologico Padre Le Paige.

Das Museum ist der größte Bau des Ortes und gehört zur Universidad Catolica del Norte. Von hier aus werden Ausgrabungen in der Umge-bung von San Pedro realisiert. Die Sammlung wurde gegründet und aufgebaut von einem belgischen Jesuitenpater, der nach einer Mission in Afrika in den 50er Jahren nach Chile kam und fasziniert war von den Felsmalereien in der Umgebung von San Pedro. Er vertiefte sich immer mehr in die Geschichte des Ortes und begann, Fundstücke zu sammeln und zu untersuchen. Schließlich blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1980 in San Pedro und das Museum und die Sammlung wurden sein Lebenswerk. Fünf Jahre nachdem er mit seiner archäologischen Arbeit begonnen hatte, wurde die Universidad Catolica auf ihn aufmerksam und bot ihm schließlich eine Zusammenarbeit an. Nach dem Tod des Paters ging die Sammlung in die Hände der Wissenschaftler über. Heute werden zwei der drei Pavillons als Ausstellungshallen genutzt, der dritte beherbergt ein Labor und die Bibliothek des Museums. Die Sammlung, die im Lauf der Jahre zusammengetragen wurde, ist didaktisch hervorragend aufbereitet und wirklich sehenswert! Dokumentiert werden das Leben der Urbevölkerung als Jäger und Sammler, die Entwicklung der Landwirtschaft und der Einfluss der Inkas auf die Kultur, auf religiöse Riten und Gebrauchsgegenstände. Besonders sehenswert sind die detaillierten Erklärungen dazu, mit welchen Techniken die Menschen damals aus hartem Flintstein Werkzeuge herstellten.


"Abends ein Blick in andere Welten - das Beobachtungszentrum Space Obs in San Pedro (San Pedro de Atacama Celestial Oberservatory) befindet sich in unmittelbarer Nähe des südlichen Wendekreises des Steinbocks. Es ist für Besucher geöffnet. Hier bringt uns ein Experte, Alain Maury, astronomisches Hintergrundwissen nahe und zeigt uns mit Hilfe eines extrastarken Laserpointers die Besonderheiten des südlichen Sternenhimmels. Ein Hochgenuss, per Teleskop die entfernten Sterne und Galaxien zu genießen." Diesen Genuss gönnte ich Heinz mit der Gruppe. Hier beobachtete er mit Wolfgang, eingekreist von vor Kälte bibbernden Amerikanerinnen das Kreuz des Südens. Mir war der Ausflug zu kalt. Ich besorgte mir am nächsten Tag im Handwerkermarkt schleunigst warme Alpaka-Strick-Klamotten, um der nächsten Kälteexpedition schon mal warmen Blickes entgegen zu sehen.

Was mir bei Kirchenbesichtigungen in der Atacama auffiel, war, dass die Jungfrau Maria immer wieder mit den Farben der chilenischen Flagge umgeben ist. Ich ließ mir von Jenny die Bedeutung erklären: Blau steht für den Himmel, Weiß für den Schnee der Anden und Rot für den Mut und das Blut der Helden. Der weiße Stern symbolisiert Ehre und Fortschritt, nach anderer Lesart den Umstand, dass Chile ein zentral, nicht föderal organisierter Staat ist und der Lesart, dass der Stern als christliches Himmelssymbol gedeutet wird.

Am nächsten Morgen guckte ich dann auch durch die Röhre. Trotz Sonnenscheins war es kalt. Das Grundstück von Alain Maury war noch nicht eingezäunt, so dass es sich unsere Herren und damit auch wir drei Ladies nicht nehmen ließen, doch noch bei Tageslicht die herumstehenden Teleskope zu bewundern. Ein misstrauischer Wächter beäugte uns und gab uns freundlicherweise zum Abschied die Auskunft, dass das Betreten dieses Grundstückes nicht erlaubt sei.

Sternekiekern kann man vertrauen!!!