Finstere Zeiten an einem ungewöhnlichen Ort, wo es nicht dunkel werden sollte

eine Schülerfahrt nach Tromsø (Nordnorwegen) zur Beobachtung des Venustransits

ein Reisebericht von Joe T.

1. Juni – 9. Juni 2012
Wir reisen und alle beneiden uns!
Wieder unternehme ich einen Versuch, eine Schülerreise in Verbindung mit einer astronomischen Themenstellung (der Venustransit als letzte Chance für diese Generation der Menschen, da der nächste erst wieder 2117 zu sehen sein wird) zu stellen. Das bedeutete im Vorfeld eine Menge scheinbar unlösbarer Fragen zu klären (Finanzen, mitreisende Personen, Verantwortlichkeiten, etc.). Da der finanzielle Rahmen bei Schülerreisen immer eng gesteckt ist, braucht man einen Sponsor, welchen wir im FNJ (S. Hoffmann) gefunden hatten. Als Personenkreis hatte ich eigentlich meinen Astronomie-Kurs auserkoren. Aber leider ließ mein Schulleiter meine 13. Klässler nicht zu, wegen dem anstehenden Abitur. Also würfelte ich mir eine bunte Gruppe aus interessierten Schülern zusammen, und bekam noch 3 Gastschüler aus Hamburg und Erlangen (über das FNJ) dazu. Viele meiner Kollegen wollten mich „überreden“ doch sie als potentielle Schüler mitzunehmen. Eigentlich sollte ich auch nur die fachliche Begleitung in einem länderübergreifenden Projekt (Norwegen-Russland-Deutschland) zum Venustransit sein, wurde aber als einzige mitreisende erwachsene Person wohl irgendwann zum Chef der Norwegengruppe ernannt. Du hast keine Chance, darum nutze sie. Etwas Glück habe ich weil Eckehard Schmidt mit einer eigenen Reisegruppe ebenfalls vor Ort ist, wodurch mir gerätetechnisch (er hat für mich 2 Geräte von Berlin nach Tromsø gefahren) und auch fahrtechnisch (er war unser PÖPNV- persönlicher ÖPNV, mit seinem VW-Bus, wir hätten sonst kaum eine Chance der Fortbewegung gehabt).

Die Reise war für uns genommen ein voller Erfolg, aber auch strapaziös. Schon auf der Hinreise bauten wir ein Schlafdefizit auf. In Berlin-Tegel, bei lauen 15°C erleben wir gegen 21:00 Uhr unseren 1. Sonnenuntergang und hüpfen 1 Stunde nach Kopenhagen immer dem Sonnenuntergang hinterher. Der Einflug erfolgt über die Öresundbrücke, welche von oben recht niedlich aussieht, und am Airport regnet es. Wir steigen um und hüpfen wieder für eine Stunde nach Oslo. Am Kopenhagener Flughafen war es schon dunkel geworden, und beim Osloflug versuchen wir die Sonne wieder einzuholen. Es gelingt uns nicht ganz. Aber es bleibt ab jetzt irgendwie und irgendwo immer dämmrig, wir geraten in die Polartag-Zone. Am Osloer Flughafen haben wir unsere erste „Übernachtung“, 8 Stunden Wartezeit auf den Weiterflug. Jeder sucht sich eine Möglichkeit zum Zurückziehen und Schlafen. Gelingt nur einigen, der Airport kennt keine Ruhe, es wird ein oberflächliches Wegnicken. Dann der Weiterflug nach Tromsø, es sind bis hierhin 12 Stunden Reisezeit vergangen und die Jugendgruppe hat sich zusammengefunden. Eine vorsichtige Frage noch auf dem Osloer Airport klärt dann wohl auch die Verantwortlichkeit: „Sind Sie jetzt hier der Älteste?“ Joa?! Ansonsten ist in Oslo strahlend blauer Himmel. Können wir den mitnehmen? Und trotz früher Morgenstunde und sichtbarer Müdigkeit, gibt es schon ein wenig Astronomie-Bildung, d.h. alle müssen mit einer SoFi-Brille in die Sonne schauen. Diese sieht recht „nackig“ aus, kein Sonnenfleck zu sehen – es geht auf das Maximum zu! Wir fliegen über schneebedeckte Berge (im Juni) und sind fast in Tromsø.

Hier erwartet uns Eckehard und fährt uns gleich in 2 Schwüngen zum Planetarium (es gehört zur Uni Tromsø). Unterwegs eine erste Stadteinführung. Bei der Venus-Transit-Konferenz wurden wir herzlich in Empfang genommen und von Amelie (deutschsprechend) in den Ablauf eingewiesen. Die Gruppe hat als Gasthörer an zwei Vorträgen teilgenommen, dann einen ersten Stadtbummel (Geld tauschen, Essen kaufen – wir waren ja Selbstversorger, was so nicht klappte, wegen Wochenende und ein Streik im öffentlichen Dienst der noch bis zu unserem Abflug andauerte). Am späteren Nachmittag noch ein Planetariums-Vortrag zum Venustransit (Rhythmus und Bahnverlauf) und dann bezogen wir unser Domizil auf dem Campingplatz (einfache 4-Bett-Bungalows) an einem kleinen idyllischen Flüsschen gelegen. Dankenswerter Weise hatten die Konferenz-Organisatoren unsere Essen-Notlage erkannt und uns mit den „Resten“ des Lunches der Konferenzteilnehmer versorgt. Zwei Tage waren gerettet. Die Sonne strahlt derweil unentwegt vom Himmel, sie geht ja hier nicht unter. Eine kleinere Gruppe macht noch einmal den vergeblichen Versuch jugendtauglicher Nahrung nachzujagen, es werden nur Getränke von der Tanke. Dann sitzen wir noch in gemütlicher Runde bei gepflegten Gesprächen um gegen 23:00 Uhr zur Nachtruhe zu finden, was nicht allen gelingt (wegen des Wegseins von zu Hause und der Helligkeit).

Die Anlaufphase ist wohl geschafft, man hat sich eingerichtet. Die erste richtige Nacht wurde dann doch etwas länger, nach 12 Stunden schicke ich einen Weckruf aus. Um 13:00 Uhr beginnt der „Unterricht“ in unserem Freiluft-Klassenzimmer am Campingteich. Ein paar Holzbänke und ein Tisch reichten dafür super. Auf dem Stundenplan stand als erstes „Einführung in Sonnenfotografie“. Dazu war es nicht schlecht das auch einige Jugendliche schon ein wenig Vorkenntnisse zur digitalen Fotografie hatten. Unser „Fachspezialist“ Herr Trebs (rein zufällig vor Ort) erläuterte die Besonderheiten bei der Sonnenbeobachtung, den Filterbau und die Stativfrage. Kleinere Übungen (Fotografien in unmöglichen Lagen) rundeten diese Stunde ab. Die zweite, eher Doppelstunde gestaltete unsere mitgereiste Studentin Monique. Es war eine Kreativitätsstunde, mit dem Ziel eine Konstruktion (vorgegebene Hilfsmittel) zu bauen, die es erlaubt ein Ei aus größerer Höhe fallen zu lassen ohne es dabei zu zerstören. Wir bildeten 4 Gruppen und eigentlich war das ebenfalls eine gelungene Aktion, leider hat es ein Ei nicht geschafft. Es wurde alles dokumentarisch (Film und Foto) festgehalten, denn es war Moniques Studienaufgabe, welche sie später präsentieren sollte. Es folgte eine „Hofpause“ und dann ging es zum Bergklettern. Wir hatten uns bei der Ankunft schon vorgenommen einmal an den Schnee heran zu klettern. Unser Hausberg ist ungefähr 200 m höher als unser Lager. Ich glaube Henricke hat gesagt: „Jetzt sind wir schon hier im hohen Norden, und nicht einmal einen richtigen Schneesturm gibt es hier.“ Auch besser so! Die Wanderung hat uns auch ohne Schneesturm Spaß gemacht. Die folgende Nacht hielt schon mehrere von uns wach, die Sonne steht nach Mitternacht so ungefähr 15° über dem Horizont.

Die Zeit rennt dahin, schon der dritte Tag hier und das Wetter ist halbeindeutig. Laut Wetterbericht heiter, aber der Himmel ist leicht überzogen. Wir legen heute einen Museumstag ein (es ist Montag). Zuerst müssen wir mit einem kleineren Fußmarsch über die große Tromsø-Brücke, denn das hauptsächliche Tromsø liegt auf einer Insel (siehe Bild oben). Dabei ging es an der (uns enttäuschenden, wegen 5 € Eintritt) Eismeerkathedrale vorbei, welche in fast allen Fotodokumentationen ein Hauptmotiv wurde, weil man sie auch aus allen Richtungen immer sieht. Im Stadtzentrum konnten wir dann doch endlich Geld tauschen zu einem für uns miesen Tauschkurs. Eine Pizza kostet hier fast 17 € also kauft man nicht soviel, nur ein paar Souvenirs müssen sein, für die Lieben daheim. Irgendwann treffen dann allmählich alle beim Polarmuseum ein. Hier wird mit vielen Ausstellungsstücken die Geschichte der Entdeckung und des Lebens am Nordpol dargestellt. Weiter ging es von hier quer durch die Stadt zum „Polaria“, ein großes Robben- und Meerestier-Aquarium. Es ist ein Wandeln auf verschiedenen Ebenen, links Krabbe über einem Fisch oder Robbe, oder hübsche Seeanemonen. Es gibt sogar eine richtige Robbenshow, eine halbe Stunde ooh und aah. Nach soviel Bildung über Flora und Fauna ging es dann wieder zurück zum Camp-Platz. Das waren dann wohl so circa 15 km Wanderung heute. Zum Abend hin organisierten wir unsere Fotodateien mit fast schon profihafter Fachsimpelei. Auf jeden Fall wollen wir eine CD für jeden von uns erstellen. Gegen Mitternacht kehrte Ruhe aber wieder keine Dunkelheit ein.

Und da man nicht immer lange schlafen kann, ging es heute für die ersten schon früh raus. In zwei Gruppen fuhr uns Ecki ins 30 km entfernte Forschungsinstitut „Eiscat“. Es ist eine Einrichtung zur Erkundung der oberen Atmosphäre im Radiobereich 200 – 900 MHz, also auch von Polarlichtern. Was uns natürlich nichts nützte, weil es ja nun nicht dunkel wurde. Vor Ort erläuterte Dr. Michael Rietveld in einem Vortrag das Aufgabenfeld und die Technik. Er wirkte dabei etwas zerstreut oder unkonzentriert (schaltete mal aus Versehen den Beamer während des Vortrages aus). Das konnte er bei der Führung zu den Teleskopen wieder mehr als wettmachen. Für die Jugendlichen war es etwas außergewöhnliches, für mich war es ein astrotechnisches Paradies.

Auf dem Rückweg sondierten wir noch die Seilbahndaten für den Abend. Für unsere Beobachtung des Transits hatten wir drei Optionen: A … in der Stadthalle an einem großen Event der ansässigen Astronomen teilnehmen mit einer Videoübertragung des Ereignisses (im Widerspruch zum Grundanliegen unserer Reise), B … mit der Seilbahn auf den Hausberg bei einem Restaurant und ca. 50 Leuten, oder C … 70 km von Tromsø entfernt, mit der halben Gruppe, weil nur eine Fahrt geht, in absoluter Wildnis aber bei gutem Seeing (wie soll das denn gehen?). Also blieb Variante B, und im Nachhinein wohl auch die beste Wahl. Noch war Zeit für ein wenig relaxen oder packen der Utensilien für eine lange Nacht. Am Himmel ist leichte Bewölkung und auf der Sonne gibt es Flecken und wir warten auf ein astronomisches Ereignis.

Tropfen oder nicht Tropfen, das ist hier die Frage! Und man muss beide male sagen: nö! Der Wetter-Tropfen hatte sich ab 22:00 Uhr vollkommen verzogen. Man schüttelt unweigerlich den Kopf, wenn man zum Himmel schaut (gibt es Ihn, den Wettergott?). Denn ulkiger Weise zog der Himmel sich am nächsten Morgen, also nach dem Ereignis wieder zu. Also für uns absolut perfekt. Ja und der 2. Tropfen, also der Venustropfen beim Eintritt oder Austritt der Venus aus der Sonnenscheibe, ist wohl doch nur ein Auflösungsproblem, also die Technik. Seit Johannes Kepler ist es ja erst der 7. Transit den die Menschen beobachten konnten, für mich (ich habe beide in meiner Lebenszeit stattfindenden gesehen) wird es den 8.Transit nicht mehr geben. Und wir haben beide Fälle dokumentiert, das heißt Tropfen und nicht Tropfen in Abhängigkeit von der Kameraqualität. Nun stehen wir also hier oben auf der Seilbahnstation (69°38`09,2“ n.B. und 18°59`45,9“ ö.L.) in knapp 400 m Höhe und sehen einer herrlichen Mitternachtssonne und einem über 6 Stunden dauernden Transit zu. Mit uns Tromsø`s Amateurastronomen, wir kannten einige von der Konferenz, Eckehard seine Transitgruppe, 2 Brasilianer, welche etwas abseits beobachteten und vielleicht ca. 30 bis 40 Personen. Diese wussten meistens nicht was wir hier oben beobachteten, und waren daher ganz aufgeregt und schauten erstaunt durch die vielen vorhandenen Teleskope. Also eigentlich waren wir nur ungefähr 30 Astronomie-Begeisterte, für ein solches weltweit beachtetes Projekt sehr wenige, wie ich denke. Nichts desto trotz nutzten wir die vorhandenen Restauranträume und die Terrasse (war nur durch die Tromsøer möglich). Die Seilbahn stellte ab 2:00 Uhr den Fahrbetrieb ein und wir waren unter uns. Es wurde auch empfindlich kühl, so um die 5°C, und der Ablauf war recht simpel. Erst bauten alle ihre Gerätschaft auf, bereiteten die Folien vor und dann Bilder, Bilder, Bilder. Meine Jugendlichen fachsimpelten mit den anwesenden Norwegern, Deutschen, Holländern und auch Engländern. Es war ein interessanter Sprachkauderwelsch. Ein ortsansässiger Astronom hatte auch ein Coronado an seinem Teleskop, d.h. ein Hα-Filter und ein Superbild von der Sonne in einem intensiven Rot mit Protuberanzen, Filamenten auf der Sonnenscheibe und natürlich der kullerrunden Venus darauf. Man war richtig süchtig nach diesem optischen Blickfang, daher war sein Teleskop am begehrtesten. Es ist ein Wahnsinns-Eindruck, fast so gut wie die Totalität bei einer Sonnenfinsternis. Schade dass man davon keine Bilder hinbekam. Dafür war mein Telementor und Nils seine Canon 50D eine gute Kombination.

Venus vor der SonneAuch wenn einige dann in den Morgenstunden abnickten, oder ab 4:00 Uhr den Heimweg zu Fuß aufnahmen (denn die Seilbahn fuhr erst wieder ab 10:30), für die die durchhielten war es ein voller Erfolg. Ecki fiel dann pünktlich mit seinem letzten Foto (6:54)in einen Kurzschlaf, einfach vor Ort auf der Wiese. Die Anspannung war weg, eine gewisse Seligkeit stellte sich ein, und man baute die Geräte zusammen, übernahm Fotos oder checkte einfach nur das Internet, globale Welt. In den vielen Stunden unserer etappenweise stattfindenden Rückreise werde ich dann noch sehen, wie unsere Jugendlichen das Erlebnis Venustransit reflektieren. An Wünschen hätte ich momentan endlich mal wieder einen Superkometen und natürlich noch einige gut sichtbare SoFi`s, wieder mal eine schöne Mondfinsternis in Berlin und weiterhin noch viel Gesundheit, Geld und Weltfrieden. Ok, jetzt ist erst einmal schlafen angesagt.

Der erste Teil des Heimweges beginnt, leider auch mit einem frühen Aufstehen (3:45), auch wegen des schon erwähnten Streikes vor Ort. Man ist manchmal schon eine Weile am Ort und bemerkt erst bei der Abfahrt bestimmte Eigentümlichkeiten eines Ortes. Tromsø hat ein sehr ausgeprägtes Tunnel-Verkehrssystem (auch wegen des Winters hier), aber einen oder besser viele Kreisverkehre waren mir denn doch neu. Ein Abschied und Dank an Eckehard (meine Sicherheit im Hintergrund) und pünktlich heben wir ab, adieu Tromsø! Es geht via Oslo (wieder mit Wartezeit), nach Kopenhagen. Von dort steigen wir um in die Bahn und fahren zu einem letzten Abstecher nach Landskrona in Schweden. Also ein ganzer Tag für die Reise.

Und der 8.Juni ist dann unser letzter Tag einer interessanten Woche mit den unterschiedlichsten Eindrücken. Hier in der Jugendherberge hatten wir unser erstes ordentliches ausführliches Frühstück, hatte ich extra bestellt um den Abschluss etwas aufzupeppen. Die Jugend war begeistert. Dann ging es gemütlich los zur Fähre quer durch die Stadt, welche eine beschauliche ladenstrukturarme Kleinstadt ist, abgesehen von den laut feiernden Abiturienten. Unsere Fährfahrt führte uns zur Insel Ven. Damit hatten wir alles was sich zu Luft, Land und Wasser bewegt genutzt. Insel Ven steht in sehr engem Zusammenhang mit dem Astronomen Tycho Brahe, also unser Ziel. Der Wetterbericht hatte für heute Regen (Niesel) angekündigt, und es trat ein. Kaum 500 Meter auf der Insel und der Regen setzte ein und hörte leider mit der Fähr-Rückfahrt erst wieder auf. Das trübte unseren etwa 4-stündigen Aufenthalt etwas. Die Schönheit der Natur lässt sich bei Tropfen an den Augenbrauen leider nur verwischen aber nicht genießen. Den Tycho-Brahe-Teil, also den Besuch des sehr interessanten Museums und der alten Sternwarte (nicht mehr in echt, sondern nur als halbunterirdischen Nachbau auf den alten Fundamenten) nutzten wir als Erfahrungserweiterung. Auf dem Rückweg besichtigten wir den Planetenwanderweg, entlang der Strecke vom Museum zur Fähre. Halbwegs trocken saßen wir noch für eine letzte Auswertungsrunde in der Jugendherberge. Am nächsten Tag waren wir noch 5 Stunden und eine für manche sehr holprige Flugstrecke von Berlin entfernt um nach einer für alle schönen langen Woche wieder heimzukehren. Der Nachhall wird hoffentlich noch lange anhalten und Lust auf weitere Erkundungen dieser bunten Welt wecken.
mein Fernrohr Eckehard Schmidt an seiner Kamera Mitternachtssonne