Herausragende Forschungsprojekte an berühmten Sternwarten der USA

19. Juli bis 2. August 1997
berichtet von Klaus Meissen

Aus der Vielzahl der auf unserer Studienreise durch den Südwesten der USA besichtigten astronomischen Attraktionen sollen hier die Lick-Sternwarte und das Lowell-Observatorium besonders hervorgehoben werden, weil wir dort nicht nur wie normale Touristen behandelt wurden, sondern im Rahmen einer Besichtigung mit kompetenter Führung an die modernsten astronomischen Geräte herantreten durften.

Die Lick-Sternwarte hat eine lange Tradition bei der Erforschung des solaren Planetensystems. Diese erfährt nun eine Fortsetzung bzw. Erweiterung durch die Entdeckung extrasolarer Planeten. Von den derzeit bekannten neun nichtsolaren Planeten in der Umlaufbahn um normale Hauptreihensterne wurden hier sechs entdeckt. Dies geschieht nicht auf dem üblichen visuellen Weg, da die fraglichen Körper in der unmittelbaren Nachbarschaft ihres hell leuchtenden Zentralsterns sowohl von der Auflösung als auch von der Helligkeit mit heutigen Mitteln irdischer Teleskope nicht erkennbar wären. Man führt den Nachweis über die Dopplerverschiebung von Spektrallinien des Hauptreihensterns. Dazu wird ein extrem hochaufgelöstes Spektrum des Sterns zusammen mit einem irdischen Vergleichsspektrum aus einer Joddampfquelle aufgenommen und mit einer Auflösung von 3m/s die Bewegung entlang der Sichtlinie ermittelt. Hat man auf diese Weise über einen langen Zeitraum hinweg eine Vielzahl von Messwerten, so beginnt die eigentliche Entdeckungsarbeit: Man zieht von den gemessenen Geschwindigkeiten die von der Erde durch Rotation und Umlauf um die Sonne (auch der Einfluss des Mondes darf  nicht vergessen werden) bekannten Geschwindigkeiten des Beobachtungsstandortes ab und erhält eine bereinigte Messreihe für den jeweiligen Stern, die bei Anwesenheit eines planetaren Begleiters dessen periodischen Umlauf widerspiegelt. Auch wenn mit diesem Verfahren nur die Komponente entlang der Sichtlinie erfasst wird, so kann doch mit der Auswertung der Kurvenform und weitgehend bekannter Masse des Zentralsterns alles über Größe und Form der Bahn und die untere Grenze für die Masse des planetaren Körpers errechnet werden.

Ein zweiter Forschungsschwerpunkt der Lick-Sternwarte liegt in der hochaufgelösten Abbildung und Untersuchung von lichtschwachen Objekten. Der altehrwürdige 3m-Spiegel aus dem Jahre 1959 ist wegen seiner Dicke und daraus resultierender mechanischen Festigkeit nicht verbiegbar, wie es bei modernen Konzepten mit angewandter adaptiver Optik erforderlich ist. Trotzdem wollte man aber auf diese Methode zur Verringerung der durch die Luftunruhe entstehenden Unschärfe bei langer Belichtungszeit nicht verzichten. Es wird stattdessen ein zusätzlicher flexibler Spiegel in den Strahlengang eingefügt, der in gleicher Art die verformten einfallenden Wellenfronten begradigt, wie es bei den neuesten Teleskopen der Hauptspiegel erledigt. Um eine solche Verbiegung in genau der richtigen Weise und zu jedem nötigen Zeitpunkt durchführen zu können muss man ein helles punktförmiges Objekt (Stern heller als 12mag) im Sichtfeld haben und mittels einer kleinen CCD-Kamera als Wellenfrontsensor und eines schnellen Computers die jeweils richtige Durchbiegung an vielen Stellen des Bildfeldes etwa 1000 mal pro Sekunde neu berechnen. Da aber in über 90% der Fälle kein ausreichend helles Objekt im gerade interessierenden Blickbereich des Teleskops sich befindet, hat man erfolgreiche Versuche mit einem künstlichen Stern durchgeführt. Dazu wird ein kräftiger Laserstrahl von einigen Watt mit der Wellenlänge der gelben Natriumlinie D2 auf das ausgewählte Himmelsareal gerichtet. Der Laser befindet sich unmittelbar neben dem Teleskop und wird mit diesem mechanisch verbunden nachgeführt. Das Laserlicht erzeugt zunächst in der unteren Atmosphäre bis zu einer Höhe von 30km einen Streukegel (Rayleighstreuung), der keinen weiteren Nutzen hat.

In der Hochatmosphäre bei etwa 90km Höhe befindet sich eine mehrere km dicke mit Natriumatomen angereicherte Schicht, die von den UV-Anteilen der Sonneneinstrahlung ständig erneuert wird. Dort entsteht durch Resonanzstreuung ein heller Leuchtfleck, der als "künstlicher Stern" fast die gleiche Aufgabe übernehmen kann wie ein natürlicher Stern. Zu diesem Zweck wird ein kleiner Teil des vom Teleskop eingefangenen Lichtes herausgeteilt und im gelben Licht des Lasers zur Berechnung der Spiegeldurchbiegung und damit zur Korrektur der Wellenfront herangezogen. Das Streulicht und der künstliche Stern stört die eigentliche Beobachtung nicht, da im weiteren Weg des Lichtes ein entsprechendes Filter das gesamte Natriumlicht, nicht nur das vom Laser, sondern auch die Himmelsaufhellung von den inzwischen reichlich nahegerückten Straßenlaternen von San José, ausfiltert.

Das Lowell-Observatorium in der Nähe von Flagstaff/Arizona hat an seinem ursprünglichen Ort (35°12'0"N, 111°39'0"W) sehr viel Historisches zu bieten. Die modernste Forschung findet aber auf einem neu erschlossenen Gelände statt (35°5'51"N, 111°32'11"W). Dort wird unter anderem mit einer feststehenden Schmidt-Kamera bei entsprechenden Sichtbedingungen täglich der gesamte Nachthimmel abgescannt. Dazu befinden sich statt der üblichen Fotoplatten vier CCD-Chips mit jeweils 4096x4096 Pixel im Primärfokus aufgereiht. Da das Schmidt-Teleskop nicht der Bewegung der Fixsternsphäre nachgeführt wird, würden auf einer langbelichteten Fotoplatte die einzelnen Sterne jeweils eine Strichspur hinterlassen. Mit einer CCD-Kamera lässt sich das vermeiden. Grundsätzlich werden die durch Belichtung entstandenen Ladungsbilder zeilenweise verschoben und aus der letzten Zeile ebenfalls durch Verschiebung der einzelnen "Ladungstöpfe" in einen Ausleseverstärker transportiert. Dieser typische Vorgang zur Gewinnung eines CCD-Bildes findet bei normaler Aufnahmetechnik nach der Belichtung und in kurzer Zeit statt. Bei der feststehenden Schmidt-Kamera wird jedoch während der Belichtung mit langsamem Takt verschoben, so dass die Bewegung des Ladungsbildes genau in der gleichen Geschwindigkeit erfolgt, wie die scheinbare Verschiebung der Himmelsabbildung infolge der Erdrotation. Dadurch erzeugt jeder der vier CCD-Kameras ein elektronisches Bild in Form eines Streifens, die zu einem breiten Band zusammengesetzt werden. Der auf diese Weise täglich anfallende Datenberg ist von erheblichem Umfang und kann wegen Mangel an Speicher nicht über lange Zeit vollständig aufbewahrt werden. Deshalb vergleicht ein Computerprogramm die zeitlich benachbarten Aufnahmen und berechnet die Veränderungen, die dann zur dauerhaften Abspeicherung gelangen. So spart man mehr als 75% Speicherplatz und erhält gleichzeitig die gesuchte Information über Objekte mit variabler Helligkeit oder Ortsveränderlichkeit. Zum Beispiel lassen sich auf diese Weise erdnahe Kleinkörper ausfindig machen und zur Bahnbestimmung verfolgen.

Der unübertroffene Höhepunkt war die Besichtigung des NPOI (Navy Prototype Optical Interferometer). Wer kann schon von sich sagen, er habe das Innere eines betriebsfertigen optischen Interferometers betreten? Diese Technik zur Gewinnung extrem hochaufgelöster zweidimensionaler Bilder im sichtbaren Wellenlängenbereich ist noch sehr jung. Vor etwas mehr als einem Jahr gelang hier zum ersten Mal die phasengenaue Zusammenfügung von drei in beachtlichem Abstand zueinander einzeln aufgefangenen Lichtbündeln zu einem interferierenden Gesamtbild. Das himmlische Übungsobjekt war das bereits durch spektroskopische Untersuchungen als Doppelstern bekannte System ζ1 UMa (Mizar). Im Ergebnis erkennt man die beiden sich umkreisenden Komponenten im Abstand von rund 10m" (Millibogensekunden). Die Präzision, die hinter dieser Beobachtungstechnik steht, verdient eine besondere Beachtung. Das Licht gelangt an drei separaten Stationen im Abstand von ca. 30m jeweils an einen ebenen, dem Stern nachgeführten Spiegel (Siderostat), danach zu einem zweiten mit einer schnellen piezoelektrischen Kippeinrichtung zur Wellenfrontbegradigung. Danach entkommen die Lichtbündel durch ein Fenster in ein evakuiertes Edelstahlrohr und sind damit allen weiteren Beeinflussungen durch die irdische Atmosphäre entzogen. Bevor es aber zu einer Vereinigung der verschiedenen Lichtwege an zentraler Stelle kommen kann, müssen die Wellenfronten aneinander angepasst werden.  Denn so genau wie die Oberfläche eines Teleskopspiegels gearbeitet sein muss, um im Brennpunkt ein beugungsbegrenztes Bild zu erhalten, muss auch der Lichtweg in einem optischen Interferometer auf  Bruchteile der Wellenlänge des zu verarbeitenden Lichtes ständig exakt eingestellt werden. Neben geringfügigen thermischen Effekten ist vor allem die Erdrotation zu kompensieren. Was bei einem üblichen Fernrohr die Nachführung macht, wird beim Interferometer durch variable Lichtverzögerungsstrecken erreicht. Die hohe mechanische Präzision der in den Stahlröhren auf Schienen fahrenden Spiegel muss durch piezoelektrische Positionierung unterstützt werden. Eine ständige Kontrolle der Lichtwege mit einem integrierten Laserlängenmesssystem ermöglicht erst die Einhaltung der geforderten Genauigkeit von unter 100nm.

Der Ausbau der bestehenden Anlage auf das Zusammenführen von bis zu sechs Lichtbündel, die auf einer Y-förmigen Konfiguration mit Armlängen von 250m an 30 verschiedenen Punkten empfangen werden können, ist in Vorbereitung. Neben der optischen Trennung von Doppelsternen werden für das Interferometer noch weitere zukünftige Aufgaben genannt, bei denen Auflösungen von besser als 1m" angestrebt werden: Wahrnehmung von Sonnenflecken, Flares und Massenaustausch bei nahen Sternen sowie auch weiter entfernten Riesensternen; hochgenaue Sternpositionen und Eigenbewegungen sowie Entfernungsbestimmungen über die jährliche Parallaxe.