Ur- und Frühgeschichte der Schwäbischen Alb

Archäologische Erkundungen zu den Themen Löwenmensch, Neanderthaler, Heuneburg

ein Reisebericht von Simone Neusüß

17. - 21.04.2014

Einige Reiseteilnehmer hatten im Vorjahr die Frankokantabrische Höhlenmalerei bestaunt. So entstand der Wunsch, auch die EISZEITKUNST im Alb-Donau-Kreis (Geopark Schwäbische Alb) zu begutachten. Einen aktuellen Aufhänger bot die Sonderausstellung "Die Rückkehr des Löwenmenschen" im Ulmer Museum. Weitere Reiseteilnehmer interessierten sich für ARCHÄOASTRONOMIE. Mit der vermuteten Lunarsymbolik findet sich bereits in der Eiszeitkunst ein Hinweis auf die Beobachtung und die kultische Einbindung der Gestirne. Für die Bronzezeit hat die Forschung einige neue Theorien rund um Mondidole und Sonnenbarken erarbeitet. Ein Besuch des Federseemuseums Bad Buchau bot sich hierzu an. Aufgrund der Dichte an keltischen Fundstellen war die Heuneburg ein weiteres interessantes Reiseziel.

Hohlenstein-Stadel
Zeittafel
MITTELPALÄOLITHIKUM:
Moustérien120.000 - 40.000 BPHomo neanderthalensis
JUNGPALÄOLITHIKUM:40.000 - 8.000 BP
Aurignacien40.000 - 31.000 BPHomo sapiens (Cro-Magnon)
Gravettien35.000 - 24.000 BP
Solutréen24.000 - 18.000 BP
Magdalénien18.000 - 12.000 BP
(Azilien12.000 - 8.000 BPEpipaläolithikum)
MESOLITHIKUM:9.600 - 5.500 BCHolozän (Bewaldung)
NEOLITHIKUM:9.600 - 5.500 BCin Mitteleuropa (Neolithische Revolution)
(Chalkolithikum:7.500 - 4.500Kupferzeit, in Südosteuropa/ Vorderasien)
BRONZEZEIT:2.200 - 800 BCin Mitteleuropa
Frühe Bronzezeit2.200 - 1.600 BC
Mittlere Bronzezeit1.600 - 1.300 BC(Hügelgräberzeit)
Späte Bronzezeit1.300 - 800 BC(Urnenfelderzeit)
(Nordische BRONZEZEIT:1.800 - 530 BCin Südskandinavien)
EISENZEIT:800 - 15 BC
Frühe Eisenzeit800 - 450 BC(Hallstattzeit HA)
Späte Eisenzeit450 - 15 BC(Latènezeit LT)
RÖMERZEIT:15 BC - 480 AD


Sonne am IPF

Im Lonetal

Von Nürnberg startend, besuchten die neun Reiseteilnehmer zunächst das Lonetal, das zusammen mit dem Achtal ein Zentrum der jungpaläolithischen Kleinkunst bildet. Seit 140 Jahren finden archäologische Grabungen im Lonetal statt.

Die BOCKSTEINHÖHLE, zwischen Öllingen und Bissingen, war im Moustérien vom Homo neanderthalensis und im Jungpaläolithikum vom Homo sapiens besiedelt. Außerdem fanden sich zahlreiche Knochen der glazialen und postglazialen Fauna.

Hohlenstein-Stadel 2

Nahe beim HOHLENSTEIN befindet sich der Weiler Lindenau (Rammingen), dessen Siedlungsgeschichte bis in urgeschichtliche Zeit zurückreicht. Die empfehlenswerte Ausflugsgaststätte Schlößle datiert 1274. Aus dem Hohlenstein-Stadel stammt der berühmte Löwenmensch, eine ca. 32.000 Jahre alte und 30 cm große Statuette aus Mammutelfenbein. Aufgrund ethnografischer Vergleiche wird der Löwenmensch im schamanischen Kontext als Mensch-Tier-Mischwesen interpretiert. Der Hohlenstein wurde vom Moustérien bis in die Römerzeit genutzt. In der Kleinen Scheuer fand sich ein ca. 15.000 Jahre alter bemalter Kieselstein. In der Bärenhöhle lagen zahlreiche Bärenknochen. Der Bär stand in direktem Bezug zur Höhle und zum Jahreszeiten- und Lebenszyklus. Die Höhlenbärin ging im Winter in die Höhle, in die Ge-Bär-Mutter, und kam im Frühling mit jungen Bären wieder heraus. Bären gebären um Mittwinter, wenn auch die Sonne neu geboren wird.

Der VOGELHERD ist seit 2013 nicht mehr frei zugänglich, sondern Teil des Archäoparks Vogelherd, bei Niederstotzingen. Der Park bietet einen Rundweg mit Mitmachstationen der Experimentellen Archäologie und spielt mit dem Kontrast zwischen Steinzeit und Plastikzeitalter. So stehen etwa Steckdosen für E-Bikes bereit und der Rundweg informiert via QR-Code. Die Vogelherdhöhle hat drei Münder. In ihr wurden ein Mammut- und ein Pferdefigürchen gefunden, beide ca. 32.000 Jahre alt.

In Ulm

In unmittelbarer Nähe des Ulmer Münsters mit dem weltweit höchsten Kirchturm und des Rathauses mit der astronomischen Uhr befindet sich das Ulmer Museum mit der Sonderausstellung DIE RÜCKKEHR DES LÖWENMENSCHEN. Interessant ist, dass es zum Löwenmensch-Fundort im Hohlenstein-Stadel eine alte Sage gibt, analog zum Märchen von der Schönen Lau am Blautopf. Der Löwenmensch wurde aus einem Mammutstoßzahn geschnitzt, was seine Abmaße limitierte. In der Vorstellungswelt unserer Ahnen ruhte der Statuette neben der Kraft des Löwen wohl auch die des Mammut inne. "Die Rückkehr des Löwenmenschen" spielt mit der Doppeldeutigkeit, denn Schamanismus und Neopaganismus haben durchaus Konjunktur.

Ulm Löwenmenschausstellung

Die 6 cm große und ca. 40.000 Jahre alte VENUS VOM HOHLEFELS (Achtal) gilt als Urmutter und soll aus Marketinggründen bald "Mamma Venus" heißen. Sie ist momentan die älteste bekannte Frauenfigur der Welt und wirkt massig wie Mutter Erde selbst. Aus ethnografischen Vergleichen ist die apotropäische Wirkung des Scham- und Brustweisens bekannt. Es gibt einen direkten Bezug Frau - Höhle, da man durch enge Schlupfstellen ins Höhleninnere gelangen kann (Vulva). Die Höhle selbst ist ambivalent (Geburtsort, heiliger Ort, Zugang zur Unterwelt). Es gibt ebenfalls einen Bezug Frau - Mond via Monatszyklus - Mondzyklus.

Die Verzierungen der Kleinkunstwerke werden teilweise als Mondphasenzählungen (3, 4, 13) und teilweise als Phosphene (Halluzinationen in schamanischer Trance) eingeordnet. Die Tierfiguren können im Kontext des Animismus auch als Heimstätte der Ahnen angesehen werden. Das Töten von Tieren bei der Jagd beinhaltet die Gefahr des Tötens von Ahnen und erfordert kultische Riten.

Die Bruchstücke von acht FLÖTEN, ca. 40.000 Jahre alt, bestehen aus Mammutelfenbein und Vogelknochen. Sie deuten auf die rituelle akustische Nutzung der Höhlen hin. Schwan kommt von Suen (Tönen, Schallen; Vgl. Singschwan/ Schwanengesang). Der Wasservogel ist ein Zugvogel und er kennt alle drei schamanischen Welten - genau wie die Sonne.

Verschiedenartige PERLEN fanden sich in unterschiedlichen Straten und deuten auf jungpaläolithische Modetrends, Identitätsstiftungen und Kommunikationsmittel hin.

Am Federsee

Die nächste Reisestation ist das FEDERSEEMUSEUM BAD BUCHAU im Archäopark Federsee. Die Pfahlbauten am Federsee zählen zum UNESCO Weltkulturerbe. Am Federsee fanden sich Spuren der Rentierjäger vom Azilien und Mesolithikum sowie Siedlungsspuren vom Neolithikum bis in die Latènezeit. Von den gewundenen Hüttenflechtwänden stammt unser Wort Wand.

Am Federsee

Namengebend im NEOLITHIKUM wurde u.a. die Schussenrieder Kultur. Den Beginn des Neolithikums markiert eine Einwanderungswelle von Menschen (Bandkeramiker), Haustieren und Kulturpflanzen aus Südosten. Die Landnahme brachte Gewalt und Aggression. Im Federsee erhielt sich ein Holzrad. Mit der Landwirtschaft wird der jahreszeitliche Sonnenstand relevant, während sich die nomadischen Jäger noch überwiegend am Mondstand orientierten.

In der BRONZEZEIT führt die mathematische Verschmelzung der Beobachtung von Sonne- und Mondstand zum Lunisolarkalender mit einer 8 Tage-Woche. Ostern orientiert sich noch heute am Mondstand, Weihnachten am Sonnenstand. Die Bedeutung der Zahl 8 findet sich noch in der Sprache mit Acht-geben, Be-Acht-en, Acht-samkeit u.a. Die 9 ist Neu-n, der neu-e Tag der Woche. Im 17. Jh. gab es wohl eine Kalenderreform mit Tendenz zum Monotheismus und einer 7 Tage-Woche, auch Pharao Echnaton führte im 14. Jh. eine Reform in Richtung Monotheismus (Sonnengott Aton) durch.

Der TONSTEMPEL aus der "Wasserburg Buchau" mit dem Radkreuz (Sonnenkreuz) enthält in seinem Ornament kalendarische Angaben. Das MONDIDOL ist wohl ein Feuerbock und üblicherweise mit Sonnenkreisen verziert. Die SONNENBARKE (Vogelbarke) zeigt Parallelen zum ägyptischen Sonnenkult. Der Osten symbolisiert das Leben, der Westen das Jenseits. Der ägyptische Obelisk symbolisiert den Sonnenstrahl. Die Kulte in Vorderasien sowie die der Ägypter und Hethiter beeinflussten Mitteleuropa. In der Nordischen Bronzezeit spielten Schlange, Pferd, Wasservogel und Radkreuz eine wichtige Rolle. Um 1200 kommt es mit den "Seevölkern" zu einem gesellschaftlichen Umbruch im gesamten östlichen Mittelmeerraum.

Die Heuneburg

Der ARCHÄOLOGISCHE RUNDWANDERWEG führt zu den Elitegräbern der eisenzeitlichen Heuneburg. Die rekonstruierten Tumuli zeigen die Dimensionen der Hügel und ihre Entfernung zur Elitesiedlung. Der Hohmichele e.c. hatte einen Durchmesser von 60 m und eine Höhe von 13 m. Neben der Größe definiert sich ein "Fürstengrab" über reiche Ausstattung, Gold und Importware. 2010 wurde ein unberaubtes Fürstinnengrab (Bettelbühl) im Block geborgen.

Am Rundwanderweg Heuneburg

Das KELTENMUSEUM HUNDERSINGEN gibt einen Überblick über die keltische Epoche. Der griechische Name der Heuneburg war wohl Pyrene, nach Herodot. Die Heuneburg war ein reiches Handelszentrum. Ihre Elite veranstaltete Trinkgelage nach griechischem Vorbild mit mediterranen Möbeln und Geschirr. Ihre Grabhügel bilden monumentale Ahnenheiligtümer.

Das FREILICHTMUSEUM HEUNEBURG zeigt die Lage und die Maße der Hallstattbefestigung (HA D - LT A). Die Heuneburg war mit einer mediterranen Lehmziegelmauer nach phönizisch-punischem Vorbild befestigt. Sie diente der Abgrenzung der reichen Oberschicht. Die Burg bzw. Stadt ernährte zu Beginn des 6. Jahrhunderts bis zu 5.000 Menschen. Sie wurde, wie viele weitere Zentralsiedlungen, um 400 aufgegeben. Vermutlich führten die soziale Ungleichheit und Missernten zu Unruhen und einem gesellschaftlichen Umbruch.

Heuneburg

Im Nördlinger Ries

Die weithin sichtbare Abtei NERESHEIM, 1095 gegründet, ist aufgrund ihrer barocken Hallenkirche von Balthasar Neumann bekannt.

Die OFNETHÖHLEN, bei Holheim, wurden vom Moustérien bis Mesolithikum bewohnt. In der Großen Ofnet fanden sich 33 Kopfbestattungen von vor ca. 7.700 Jahren erschlagenen Menschen. Am Fuß des Berges liegen die Reste einer römischen Villa Rustica.

Das RIES ist ein Impaktkrater von ca. 24 km Durchmesser, benannt nach der römischen Provinz Raetia. Der Meteoritenkrater entstand vor ca. 15 Mio. Jahren.

Der IPF, 668 m hoch, war Sitz einer keltischen Zentralsiedlung, ebenso der nahegelegene Goldberg, der namengebend für die neolithische Goldberg Gruppe wurde. Die Region besteht aus fossilienreichem Juragestein. Der beeindruckende Ipf wurde namengebend für einen Ammoniten des Jurameeres.

IPF im Nördlinger Ries

Das Wahrzeichen von NÖRDLINGEN ist die gotische Kirche mit ihrem 90 m hohen Turm "Daniel". Sehenswert sind der Planetenweg und die komplette Stadtmauer mit Wehrgang. Der historische Gasthof Zur Sonne wurde 1350 erbaut und beherbergte neben ein paar Kaisern und Apollo-Astronauten auch Goethe und die zufriedene Reisegruppe.

Literaturauswahl

Siegfried Vierzig, Mythen der Steinzeit. Das religiöse Weltbild der frühen Menschen, 2009.

Die Rückkehr des Löwenmenschen. Geschichte, Mythos, Magie. Ausstellungsband Ulmer Museum 15.11.13 - 09.06.14.

Glaubenssache(n). Kult und Kunst der Bronzezeit. Ausstellungsband Federseemuseum Bad Buchau 15.05. - 01.11.11.

Kult der Bronzezeit. In: AID-Magazin 2-2014.

Die Keltenfürsten. Glanz und Gloria. Porträt Archäologie 2 der Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg und Hohenzollern e.V. 2006.

Die Kelten. Kunst, Kultur und Kult. In: AID-Magazin 5-2012.

Gruppenbild