Chankillo – Türme für die Sonne –
Das älteste Sonnenobservatorium Amerikas
6.-25. April 2008
Vorwort
Auf seiner Reise nach Peru besuchte Meinrad Emser auch die archäoastronomische Anlage von Chankillo, ca. 400 km nördlich von Lima.
Beeindruckt von der Größe und der astronomischen Bedeutung des Observatoriums stellte er Unterlagen zusammen,
die in seinem folgenden Reisebericht eingearbeitet worden sind.
Wir erinnern uns noch sehr gut an unsere Reisen zu den totalen Sonnenfinsternissen in den Jahren 1991 (Mexiko),
1994 (Peru) und 1998 (Venezuela) und den vielen archäoastronomischen und modernen Aspekten der amerikanischen Astronomie,
die wir während der damaligen Reisen kennen lernten. Der Reisebericht von Meinrad Emser erinnert daran,
dass noch viele weitere archäoastronomische Überraschungen in Amerika zu erwarten sind.
Vergleiche mit dem Sonnenobservatorium Goseck oder der Himmelsscheibe von Nebra und anderen archäoastronomischen Stätten
Europas drängen sich auf. Aber belassen wir es hier bei diesem Reisebericht.
Eckehard Schmidt
Peru-Reise 6.-25. April 2008
Insgesamt waren wir 28 Teilnehmer, die in Peru hauptsächlich auf den Spuren archäologischer Stätten reisten.
Wir begannen in Lima, fuhren nach Süden entlang der Küste. Der zweite Reiseteil führte in die Anden nach Cusco und Machu Picchu.
Ein Abstecher nach Bolivien nach Tiahuanaco folgte. Wieder zurück nach Lima. Fahrt in den Norden u.a. nach Chankillo.
Der Weg zum Observatorium gestaltete sich etwas abenteuerlich.
Wir brachen morgens vor Sonnenaufgang am Hotel auf und fuhren mit dem Bus auf der Küstenstraße zu der Stelle,
von wo aus man den kürzesten Weg durch die Wüste zum Observatorium hat.
Trotzdem mussten wir noch gut eine Stunde Fußmarsch durch die Wüste bewältigen.
Da es wolkenlos war, haben die Sterne unseren Weg gut beleuchtet.
20 Minuten vor Sonnenaufgang sind wir am Observatorium angekommen.
Der Drachenrücken ist auch in der sternenklaren Nacht ein imposanter Anblick.
Der Sonnenaufgang über dem Observatorium ist ein Naturschauspiel, das man nicht so bald vergisst.
Chankillo - Türme für den Sonnenstand
Bereits seit dem 19. Jahrhundert spekulierten Experten darüber, dass die mehrere Quadratkilometer große Anlage
von Chankillo den Lauf der Sonne oder des Mondes markieren könnte.
Doch erst jetzt wurden die Strukturen genauer analysiert, wofür 13 Türme, Gebäude und Plätze gedient haben könnten.
Dazu musste die Gesamtsituation der Anlage im Tal samt den geographischen Gegebenheiten berücksichtigt werden.
Ja, es ist wahrscheinlich, dass mit Hilfe dieser Anlage bereits vor 2300 Jahren die Menschen der Chavin-Kultur
den Sonnenlauf für kalendarische Zwecke beobachteten.
Das erstaunliche daran ist, dass die erwähnten Türme einen künstlichen Horizont für das Ablesen des Sonnenstandes darstellen.
Üblicherweise werden für die Bestimmung der Sonnenwenden und der Äquinoktien markante, natürliche Landmarken wie Bergkonturen gewählt,
hinter denen die Sonne auf- und untergeht. Hier nun stehen 13 würfelförmige Türme, zwischen zwei und sechs Meter hoch,
in Abständen von fünf Metern, in Nord-Süd-Richtung, mit Ausnahme der drei südlichsten, die etwas nach Südwesten abgewinkelt sind.
Im Inneren der Türme führen Treppen auf Aussichtsplattformen, die mit Flächen von 75 bis 124 Quadratmetern unterschiedlich groß sind.
Als Beobachtungspunkte für den Sonnenlauf dienten in rund 235 Meter Entfernung von den Türmen einige Gebäude und Plätze,
heutzutage Ruinen, die den Blick geradewegs auf den künstlichen Horizont der Türme freigaben.
Sonnenobservatorium
Dass die Türme kein Teil einer Festung sein konnten ergibt sich daraus, dass Lücken zwischen ihnen bestehen.
Zwar umgeben drei ringförmige Mauern die Tempelanlage im Tal, aber mit so vielen Durchgängen,
wie sie für eine Festung unüblich und für eine Verteidigung nicht sinnvoll sind.
Sicher ist nun eine zeremonielle Bedeutung für die Bestimmung der Jahreszeit.
Die beiden äußersten Türme des ca. 200 Meter langen "Drachenrückens" markieren die Sommer- und Wintersonnenwende.
Zu beobachten von einem Häusergang, der an seinem Ende durch eine Öffnung den Blick auf die Türme freigibt.
An dieser Stelle fanden die Archäoastronomen Ivan Ghezzi (Pontificia Universidad Catolica del Peru in Lima)
und Clive Ruggles (University of Leicester in England) Keramikgefäße, Muschelschalen und andere Opfergaben.
Sie waren Bestandteil von Riten einer Kultur, die durch den Sonnenkalender ihren Lebensrhythmus bestimmen ließen.
Wahrscheinlich hat von diesen besonderen Punkten aus die Elite des Volkes ihre Zeremonien eingeleitet.
Das gemeine Volk hatte keinen Zutritt zu der Anlage, sondern huldigte seinen Anführern von weiter weg.
Komplett wird die jahreszeitliche Beobachtung des Sonnenstandes erst dadurch,
dass nicht nur auf einer Seite des "Drachenrückens" Häusergänge den Blick freigeben,
sondern auch auf der gegenüberliegenden Seite, also sowohl östlich wie westlich des Drachenrückens.
Von diesen beiden Punkten lassen sich genau die Bögen der aufgehenden und sinkenden Sonne abstecken.
Von der Visierstation ist nicht mehr viel zu sehen. Im Lauf der Zeit wird durch die starken Regenfälle,
die von Zeit zu Zeit diese Gegend heimsuchen, die Lehmarchitektur zerstört.
Das sieht man auch an den großen Pyramiden in der Umgebung, die als solche nicht mehr zu erkennen sind.
Frühe Sonnenkulturen
Aus deutscher Forschersicht hatte bereits vor 40 Jahren Franz Tichy durch seine Feldarbeiten zur mexikanischen Astronomie
im Becken von Puebla (Das Mexiko-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft) herausgefunden gehabt,
dass die Azteken Gebäude und Mauern als eine Art Landmarken nutzten, um den Sonnenstand,
in anderen Fällen Einzelsterne und Sternbilder, mit Schlüsseldaten des Kalenderjahres festzuhalten
wie religiöse Feste oder Aussaat- und Erntedaten.
Einiges deutet darauf hin, dass die Zeit in Perioden von zehn bis zwölf Tagen eingeteilt wurde.
Ähnliches gilt auch für die Inkas. Beide, Azteken und Inkas, sind quasi neuzeitliche Völker von denen wir über ihre solare Astronomie wissen.
Dass eine so lange zeitliche Tradition zurückverfolgbar ist, überrascht nun.
Rund 300 v. Chr. lebte die Kultur Chavin von Chankillo.
Ihre Türme liefern ein komplettes Set an Horizont-Marken und sind Teil des ältesten Sonnenobservatoriums auf dem amerikanischen Kontinent.
Sie sind sogar 500 Jahre älter als für ähnliche Zwecke gebaute Maya-Tempel in Mittelamerika.
Vermutlich sehr viel älter noch ist das zugrunde liegende astronomische Wissen von Chankillo.
Der Rückweg von Chankillo war weitaus beschwerlicher als der Anmarsch,
da die Sonne auch schon am Morgen brennt und es teilweise bergauf ging.
Diese Anstrengungen haben wir aber gerne auf uns genommen.
Meinrad Emser