Sonnenastronomie von Denghoog und die Kulturen der Steinzeit
19. - 21. Dezember 2008
von Roland Gröber
Eine Reise im Winter nach Sylt muss schon etwas Besonderes bieten, wenn man „jemand hinter dem Ofen hervorholen“ will. Im Programm stand etwas von Sonnenastronomie, Steinzeitgräbern und selbst die Himmelsscheibe von Nebra, das Ganggrab von Newgrange und die Kreigrabenanlange von Gosek wurden zum Vergleich herangezogen. Etwas hochgegriffen?
Sechs erwartungsvolle Reiseteilnehmer trafen sich in Nürnberg, Hannover und Bad Fallingbostel, um sich auf die Spuren der Megalithgräber in der Lüneburger Heide und in Schleswig Holstein zu machen.
Eine erste Einstimmung gab es durch eine Sonderführung im Archäologischen Museum in Bad Fallingbostel. Das Museum der Archäologischen Arbeitsgemeinschaft vermittelte trotz des beschränkten Platzes faszinierende Einblicke in die Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit, sowie die Bronze- und Eisenzeit. Ein besonderer Glanzpunkt ist die bronzezeitliche „Fallingbosteler Braut aus Ungarn“ (ca. 1800 v. Chr.) deren Skelett und Goldschmuck bereits 1904 in Fallingbostel gefunden wurde. Beeindruckend waren auch die zahlreichen Exponate der Frühgeschichte aus der näheren Umgebung. Ein hoffnungsvoller Beginn für ein Museum, das fast nur von ehrenamtlicher Arbeit getragen wird.
Waren im Museum „nur“ einige Modelle von Megalithgräbern zu bewundern, so konnten wir am nächsten Etappenziel in der Oldendorfer Totenstatt vier Großsteingräber aus der Zeit von 3700 bis 3100 v. Chr. in Originalgröße erwandern. Bis zu 80 Meter lang sind die Hügelgräber in die Heidelandschaft eingebettet. Teilweise sind die Grabkammern mit ihren zahlreichen Grabbeigaben gefunden und ausgegraben worden. Einige noch nicht angetastete Grabhügel in der Umgebung warten noch auf die Archäologen der Zukunft. Die gefundenen Grabbeigaben konnten wir anschließend im Museum „Schemmes Hus“ z.T. im Original besichtigen. Das sehr sehenswerte Museum in der kleinen Gemeinde Oldendorf wurde dank EU-Mitteln und viel Engagement der Bürger 2005 eröffnet. Die Ausstellung widmet sich nahezu ausschließlich der Einwanderung der ersten Ackerbauern und der Errichtung ihrer Grabanlagen im Luhetal.
Ein kurzer Abstecher führte uns dann noch zu den Steinsetzungen nach Soderstorf, die mit Bestattungen der Jungsteinzeit, der Bronzezeit und der vorrömischen Eisenzeit drei verschiedene Epochen der Vor- und Frühgeschichte auf engem Raum vereinigen. Die Soderstorfer Nekropole hat einen wichtigen Platz in der Forschungsgeschichte, da sie in der Diskussion um das „Dreiperiodensystem“ (Stein-, Bronze, Eisenzeit) eine wichtige Rolle spielte.
Nach diesen ersten Eindrücken ging es bei regnerischem Wetter auf die lange Fahrt nach Westerland auf Sylt, wo wir gegen 20 Uhr bei stürmischen Wetter in der Pension Wilhelmsburg eintrafen. Großzügige Zimmer in einem Jugendstilhaus versprachen eine ruhige Nacht.
Am nächsten Morgen galt der erste Blick wieder dem Wetter, da der Besuch im Ganggrab von Denghoog angesagt war. Die Sonne ließ sich immer wieder einmal sehen. Obwohl erst am nächsten Tag Wintersonnenwende war, sollte heute die Besichtigung stattfinden, da die Veränderungen des Sonnenstandes nur sehr gering sind. Und es war die richtige Entscheidung. Das Wetter war gut und für den nächsten Tag war der Verein „Söl´ring foriining“, der das Ganggrab betreut, selbst mit mehreren Personen eingeplant. Aber noch hatten wir bis Mittag Zeit und konnten bei starkem Wind den obligatorischen Strandspaziergang machen.
Der Denghoog ist von den ehemals ca. 500 bekannten Megalithgräbern auf Sylt wohl das bedeutendste „Hünengrab“ der Insel. „Denghoog“ ist Sylterfriesisch und bedeutet Thinghügel (Deng = Thing, Hoog = Hügel). Im Hügel (32 Meter Durchmesser, 3,50 Meter hoch) befindet sich ein Ganggrab mit einer elliptischen Grabkammer, zu der ein ca. sechs Meter langer und ein Meter hoher Gang führt. Das Grab wurde, wie alle Megalithgräber der Gegend, ausnahmslos aus Findlingen der vorletzten Eiszeit erbaut. Bis zu 20 Tonnen soll einer der drei Decksteine wiegen. Bei der Ausgrabung 1868 zeigte sich, dass die Grabkammer noch unberührt war. Zahlreiche Grabbeigaben und Reste von unverbrannten Leichen deuten auf eine Nutzung als Kult- und Beisetzungsstätte zwischen 3200 und 3000 v. Chr. über mehrere Generationen hinweg. Besonders der recht genau in Nord-Süd-Richtung weisende Gang findet Interesse bei den Archäoastronomen. Zur Wintersonnenwende, also wenn die Sonne am wahren Mittag am tiefsten steht, dringen die Sonnenstrahlen weit in den Gang ein und beleuchten das Innere der Grabkammer. Diesen Effekt, der z.B. auch von Newgrange in Nordirland bekannt ist, wollten wir erleben.
Am 21. Dezember steht am Denghoog die Sonne um 12:25 genau im Süden in einer Höhe von 11°41' 44“. Wir waren rechtzeitig am Grabhügel - aber der Führer war nicht da, der uns den Zugang zur Grabkammer (jetzt von oben) ermöglichen sollte. Die Zeit wurde eng, und als uns der inzwischen eingetroffene Führer noch vor dem Einstieg erst noch die Geschichte des Grabhügels erzählen wollte, mussten wir doch drängen, dass wir durch die enge Luke hinuntersteigen konnten. Als auch noch das Licht in der Grabkammer gelöscht wurde, konnten wir endlich die Lichterscheinung auf uns wirken lassen. Aus geometrischen Gründen können die direkten Sonnenstrahlen nicht bis in die Grabkammer gelangen. Erst durch Reflektion und Streuung des Lichtes an den Bodenplatten im Gang wird der Fußpunkt eines Tragsteines hell erleuchtet. Durch weitere Streuungen an den kristallinen Gesteinen des Ganges wurde die stockdunkle Grabkammer in ein fahles Licht getaucht. Der Effekt war klar zu sehen, aber lange nicht so spektakulär, wie es sich mancher der Besucher erwartet hat.
Tipp für einen Besuch zur Wintersonnenwende im Denghoog: Mindestens eine halbe Stunde vorher in die Grabkammer gehen, elektrisches Licht löschen und Zugangsdeckel schließen, damit sich die Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnen können. Die Wirkung der wandernden Sonnenstrahlen sind dann wesentlich besser erkennbar.
Trotz der kleinen Unzulänglichkeiten war es ein eindrucksvolles Erlebnis und regte zu längeren Diskussionen über Sinn und Zweck des Denghoog an. Keine Lösung fanden wir für die Frage, ob und wann dieses Lichtschauspiel von den Menschen der Frühzeit wirklich beobachtet wurde, da der Gang und die Grabkammer ja eigentlich verschlossen war. Wurde er zur Wintersonnenwende geöffnet um „Licht in den Bereich des Todes“ zu bringen oder wurden die Skelette der Toten erst zur Wintersonnenwende bestattet? Hier ist sicher noch vieles im Bereich des Totenkults der Steinzeit zu klären.
Nach dem Abenteuer Denghoog war mit dem Besuch der reizvollen Keitumer Kirche St. Severin und dem Sylter Heimatmuseum die jüngere Geschichte Sylts auf dem Programm. Gänzlich in der Neuzeit angekommen waren wir dann in der verwinkelten „Kupferkanne“, einem ehemaligen militärischen Bunker, in der wir uns den „Pharisäer“ (Kaffee mit Rum) schmecken ließen. Dass Weihnachten vor der Türe steht, merkten wir spätestens im nördlichsten Ort Sylts, am Lister Hafen, wo eine fast überdimensionierte Weihnachtsbeleuchtung den wenigen Gästen, die sich gegen den heftigen Wind stemmten, auf ihren „Shoppingtouren“ heimleuchtete.
Am letzten Tag unseres kurzen Ausfluges in die Steinzeit besuchten wir bei Nieselregen in Albersdorf den Steinzeitpark. Dieses Archäologisch-Ökologische-Zentrum bietet auf einem ca. 40 Hektar großen Freigelände neben originalen Grabdenkmälern aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit Nachbauten von steinzeitlichen Häusern. Vor allem Kindern und Jugendlichen (aber auch Erwachsenen) wird mit verschiedenen Aktivitäten die Steinzeit nahe gebracht. Leider war das Dorf in Winterruhe, bis auf eine kleine Gruppe von Kindern, die vergeblich versuchten, mit Pyrit und Flint Feuer zu schlagen. Ein Besuch im Sommer bringt sicher mehr Gewinn. Nach dem Besuch des „Brutkamps“, einem imposanten Hügelgrab in Albersdorf, ging es zurück nach Bad Fallingbostel, wo uns noch ein weiterer Höhepunkt erwartete: Die „Siebensteinhäuser“ (es waren trotz des Namens immer nur fünf). Diese gehören seit einigen Jahrhunderten zu den bekanntesten Großsteingräbern in Deutschland. Sie liegen heute auf einem Truppenübungsplatz und können nur am Wochenende besichtigt werden. Zum Schutz der Gräber vor Übungs-Granaten wurden sie mit U-förmigen Wällen geschützt. Es war schon eine eigenartige Stimmung, wie wir in der rasch zunehmenden Dämmerung diese frühe Kultstätte mitten im Wald besichtigen konnten. Und spätestens hier stellte sich uns wieder die Frage: Wie und warum wurden diese auch heute noch imposanten Beispiele des steinzeitlichen Totenkults errichtet?
Modell von Denghoog, fotografiert (von Eckehard Schmidt) am 2.6.2014, Schloss Gottorf, Schleswig
Was bleibt: Es war trotz zeitweilig ungemütlichen Wetters eine interessante und erlebnisreiche Reise in einer harmonischen Reisegruppe, die jedem zur Wiederholung empfohlen wird. Aber Achtung: Seit fünf Jahren wartet die „Söl´ring Foriining“ am Denghoog auf Sonne zur Wintersonnenwende. Wir hatten Glück - einen Tag vorher!