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Date: Sun, 02 May 2004 02:22:31 +0200
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Emails live on Tour durch China von Klaus Meissen

Liebe Daheimgebliebenen,

wir sind nun schon ein paar Tage in China. Der Anfang der Reise warf uns in das Gewühl der Großstadt Kanton mit 10.000.000 Einwohnern. Dort waren einige geschäftliche Treffen und Höflichkeitsbesuche im Umfeld der Messe zu absolvieren. Aber auch eine abendliche Schifffahrt auf dem Perlfluss passte ins Programm. Die zwei Übernachtungen fanden im 24. Stock eines staatlichen Hauses in einer VIP-Suite ihren Höhepunkt. Die Stadt ist unübersichtlich groß. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie soviel Taxi gefahren. Aber auch U-Bahn und Bus waren nötig, um uns an alle Ziele zu bringen. Das touristische Programm reduzierte sich auf einen Tag, der in Begleitung einer 22jährigen Chinesischen Dame mit guten Englischkenntnissen verbracht wurde. Wir besuchten die Mitte der 90er Jahre gefundene Grabanlage eines Herrschers, dem man ein sehr schönes modernes Museum über seine Ruhestätte gebaut hat. Weiter besichtigten wir einen Palast, der heute zum Teil als Künstleraustellung dient. Zur Entspannung vom Verkehrslärm spazierten wir am Nachmittag durch eine ausgedehnte Parkanlage.

Inzwischen sind wir nach Wuhan geflogen. Hier wohnen nur noch 5.000.000 Menschen. Unsere private Unterkunft befindet sich auf dem Gelände der technischen Universität von Wuhan in einer Wohnung von 150 Quadratmeter im 22. Stock. Hier schreibe ich zurzeit. Auch steht mir ein DSL-Internetzugang frei zur Verfügung. Das Essen, sowohl in den Restaurants als auch privat ist abwechslungsreich, schmackhaft und bekömmlich. Aber etwas gewöhnungsbedürftig war das für Chinesen normale Frühstück mit Reissuppe, Gemüse und Fisch. Wir werden hier privat bevorzugt behandelt und im Rahmen der Machbarkeit werden alle Wünsche in die Tat umgesetzt. Morgen fahren wir mit einem Linienbus vier Stunden zum Dreischluchtenstausee. Dort sind auch Privatbesuche vorgesehen aber die Übernachtung ist im Hotel schon reserviert.

Das Land hat sich seit meinem letzten Besuch vor 19 Jahren sehr verändert. Der gewaltige Fortschritt scheint mir in den folgenden Gründen zu liegen: Die Regierung steuert nur noch grundlegende Dinge. Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. Die freie Marktwirtschaft führt zum Reichtum einer Schicht aus mutigen Unternehmern und in dessen Folge zum Wohlstand der gesamten Bevölkerung. Die Arbeitszeitregelung und die Entlohnung entsprechen zwar nicht unseren Vorstellungen, aber jeder hier weiß, wofür er arbeitet: für sich und seinen Wohlstand und niemand ist mit dieser Situation unzufrieden denn vorher war alles viel schlimmer. Ideologie ist vollständig aus der Wirtschaft gewichen, einige restliche Staatliche Unternehmen ausgenommen. Die Privatisierung ist sehr weit fortgeschritten, wesentlich weiter als bei uns. Dadurch entsteht in allen Bereichen Konkurrenz, die zu günstigen Preisen und guter Qualität führt. Die sehr strenge Geburtenkontrolle sorgt für eine stabile und bald sinkende Bevölkerungszahl. Für die Ausbildung der Jugend wird vorbildlich gesorgt. Die zurzeit noch bestehenden Probleme im Bereich des Umweltschutzes (Luft- und Wasserverschmutzung sowie Müll) sind erkannt und werden zügig angegangen. Wenn die Europäer weiterhin auf der faulen Haut liegen bleiben haben uns die Chinesen in 10 Jahren überholt. Nur in absoluter Spitzentechnologie sind wir noch führend. Wir sollten nicht weiter glauben, dass wir diesen asiatischen Markt bald in großem Stil beliefern könnten. Hier wird schon jetzt fast alles selbst produziert. Man lernt sehr schnell aus den Schwächen europäischer Vorbilder und macht es besser und billiger.

Wir sind inzwischen zurück vom Ausflug zum Staudamm, der auch mit Verwandtenbesuch unseres chinesischen Begleiters einherging. Dort war es etwas ländlicher. Die Stadt Yichang hatte nur 1.000.000 Einwohner und die Gegend von Wuhan bis dort war von Landwirtschaft geprägt. Man sah vereinzelt Wasserbüffel, die einen Pflug zogen und Bauern auf den Reisfeldern. Da die Verwandten etwas weniger komfortable Wohnungen hatten waren wir im Hotel untergebracht. Zu den Mahlzeiten wurden wir aber immer privat mit eingeladen. Hier herrscht zurzeit eine Fresswelle wie bei uns in den 60er Jahren. Alles ist günstig und im Überfluss vorhanden. Die chinesische Küche ist vielseitiger als selbst von mir erwartet, und ich war schon gut vorbereitet. Zu jedem guten Mahl sind mindestens 20 verschiedene Speisen auf dem Tisch. Hier wird im Prinzip alles gegessen. Wir kennen den Pfeffer als Körner und Schote aber diesmal haben wir den ganzen Busch frittiert verspeist. Immer, wenn wir nach einer Pflanze oder einem Baum am Wegesrand gefragt haben bekamen wir die gewünschte Antwort mit dem Zusatz: kann man auch essen. Eines Tages, wenn der chinesische Tourismus nach Europa kommt und die Chinesen die ersten Europäer zu Gesicht bekommen heißt es dann vielleicht auch: Kann man auch essen.

Der noch im Bau befindliche Staudamm wird nach Fertigstellung den dahinterliegenden Teil des Yangtse-Flusses um 175 Meter anheben. Die berühmten drei Schluchten sind schon jetzt nicht mehr so eng wie einst, denn auch jetzt ist schon eine Stauhöhe von ca. 100 Meter erreicht, welche der Schifffahrt eine wesentlich breitere Fahrrinne beschert, uns Touristen aber nicht mehr einen so imposanten Eindruck bietet. Mit russischen Tragflügelbooten haben wir einen Tagesausflug durch die drei Schluchten gemacht, hin und zurück mehrere hundert Kilometer. Am Abend warfen wir noch einen Blick auf den Vordamm in der Stadt Yichang. Dieser wurde zuerst errichtet, um Elektrizität in großen Mengen für das große Staudammprojekt zu gewinnen und nicht zuletzt um Erfahrungen im Bau und Betrieb solcher Anlagen zu erhalten. Auch dieser Damm hat schon eine Stauhöhe von fast 30 Meter. Der nächste Tag führte uns dann dicht an den neuen Damm und dessen Baustelle heran. Zunächst wurde das offizielle Besucherzentrum angesteuert. Es gibt dort ein schönes Landschaftsmodell der gesamten erst 2010 fertigen Stauanlage. Neben einer schon fast fertigen fünfstufigen Schleusentreppe ist noch ein Aufzug für kleinere Schiffe geplant. Durch die verwandtschaftlichen Beziehungen unserer Begleitung fuhren wir mit einem städtischen Wagen unkontrolliert durch viele Absperrungen bis in die Nähe der Baustelle des letzten Drittels. Dort wird geschützt von einem nur hundert Meter niedrigen Vordamm das Fundament für die zweite Serie von Turbinenkammern errichtet. Der erste Teil auf der anderen Seite des Damms ist schon mit Teillast in Betrieb. Dazwischen sind Schieber zur Regulierung des Gesamtdurchflusses, von denen einige gerade bei unserer Anwesenheit geöffnet waren. Man lässt zurzeit mehr Wasser durch als von den Quellflüssen nachkommt. Diese Situation ändert sich bald, wenn im Sommer die große Schneeschmelze im Himalaja einsetzt, die in früheren Zeiten zu gewaltigen Überschwemmungen geführt hatte.

Nun sind wir wieder in Wuhan und machen in der Stadt Besichtigungen von Museen, Besuche von Verwandten und morgen werden wir die Arbeitsstelle unseres Gastgebers besuchen, sowie die Schule der Kinder mit einem dort eingeplanten Mittagessen. Mein Wunsch, in der Universität an einer Physikvorlesung teilnehmen zu dürfen, wird sich in den nächsten Tagen auch realisieren lassen. Am kommenden Montagabend wird die Rückreise mit einer Bahnfahrt nach Kanton beginnen. Dienstag morgen ist von dort der Rückflug nach Deutschland.