Die nähere Erforschung der genetischen Grundlagen vieler Krankheiten
gelingt nicht ohne Versuchstiere wie die Knock-out-Mäuse. Die aber sind weniger
leicht und preiswert zu bekommen, als man denkt.
Leise surren die Roboter im Sanger Center. Hier, in der Nähe des britischen
Cambridge, werden Knock-out-Mäuse am Fließband hergestellt. Computer suchen
nach interessanten Gensequenzen. Roboter stellen passende DNA-Sonden her, am
Ende steht aber immer noch Handarbeit. Eine kleine Kompanie von Forschern unter
der Leitung von Professor Allan Bradley spritzt die DNA-Sonden in
Mäusestammzellen, aus denen dann bei Bedarf quicklebendige Nager herangezogen werden
können.
Bradley: "Unser Traum ist, für jedes einzelne Gen im
Erbgut der Maus einige Hinweise auf seine Funktion zu haben. Die
Herausforderung ist sehr, sehr groß. In den letzten 15 Jahren hat die
Gemeinschaft der Forscher in vielen 1000 Laboren rund um die Welt vielleicht
3000 bis 4000 Knock-out-Mäuse hergestellt. Wir wollen zehnmal so viel erreichen
und das nicht in fünfzig Jahren sondern in den nächsten drei oder vier Jahren.
Diese Herausforderung können wir nur bewältigen, wenn wir die Forschung auf
einige wenige Institutionen konzentrieren."
Das europäische Projekt EUCOMM will für jedes der rund 20.000 Maus-Gene einen
Knock-out herstellen. Im Moment ist in etwa Halbzeit. Die Tiere werden allen
Forschern als Werkzeug zur Verfügung gestellt. Sie haben die Arbeit auf vielen
Feldern revolutioniert, meint Professor Bernhard Herrmann vom Berliner
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik.
"Es ist für die biologische Forschung an
Säugetieren heute nicht mehr wegzudenken. Die Knock-out-Maus erlaubt im Gegensatz
zur Zellkultur die Beantwortung wichtiger Fragen im ganzen Organismus."
Eine Zelle kann eben keinen hohen Blutdruck haben, ganz anders als eine
Knock-out-Maus. Dieser Tiere haben schon auf die Spur von einem guten Dutzend
Hochdruckgenen geführt. Auch in der Krebsforschung und beim Verständnis von
Erbleiden haben diese Tiere wichtige Fortschritte ermöglicht. Neben den
Knock-out-Mäusen gibt es inzwischen noch viele andere maßgeschneiderte Tiere.
Bei der Alzheimermaus zum Beispiel wurde nicht einfach ein Gen ausgeschaltet,
die Nager-DNA wurde durch ihr menschliches Gegenstück ersetzt. Dieser Knock-in
entwickelt nicht nur die typischen Ablagerungen im Gehirn sondern auch
Gedächtnisprobleme und wird weltweit in den Alzheimerlaboratorien eingesetzt. In
Tübingen hat Professor Matthias Jucker diese Alzheimermaus mit einer weiteren
künstlichen Genveränderung gekoppelt. Diese Doppel-Mutante hat leuchtend grüne
Abwehrzellen. Wie in einem Film kann er jetzt das beobachten, was mit
zusätzlich rot gefärbten Alzheimerplaques geschieht.
Jucker: "Zuerst kommen diese roten Plaques und sie werden
immer mehr und sie werden immer größer, und das erste ist, was passiert, dass
eine Mikrogliazelle, die in der Nähe ist, innerhalb von wenigen Stunden, hier
haben wir ein Beispiel von etwa 12 Stunden, zuerst die Fortsätze und dann der
Zellkörper zu der Amyloidablagerung geht und dann mit ihren Fortsätzen das
ganze Amyloid eigentlich umschlingt, in einer Weise, wie sie eigentlich das
Ganze wegräumen wollte, aber wie Sie sehen, aus irgendeinem Grund klappt das
offensichtlich nicht, dieses Auffressen nicht, es klappt nicht."
Ein Impfstoff soll die Abwehrzellen unterstützen, für seine Entwicklung sind
die Knock-out-Mäuse unerlässlich. Neben den Knock-outs und den Knock-ins gibt
es inzwischen auch Mäuse, bei denen sich die künstlichen Gene in festgelegten
Geweben oder zu bestimmten Zeitpunkten anschalten lassen. Der Erfolg der
Knock-out-Mäuse führt zu einem steigenden Bedarf an Versuchstieren. Dabei ist
die Herstellung dieser Tiere nach wie vor schwierig, meint Bernhard Herrmann.
Wer 15.000 bis 20.000 Euro im Forschungsbudget übrig hat, kann sie inzwischen
von spezialisierten Firmen züchten lassen, alle anderen müssen viel üben, um
das nötige Fingerspitzengefühl zu entwickeln.
Herrmann: "Dass das jeder machen könnte im Labor, nein, das
ist nicht der Fall, man braucht immer noch sehr viel Expertise."
Bei ihm im Labor ist ein erfahrener Mitarbeiter etwa ein halbes Jahr
beschäftigt, bis eine Knock-out-Maus fertig ist. Es handelt sich zum Beispiel
um Tiere mit Problemen bei der Lungenreifung, die helfen sollen menschliche
Entwicklungsstörungen zu verstehen. Auch wenn am MPI für molekulare Genetik
Dutzende Knock-out-Mäuse in den Käfigen rascheln, ist es für Dr. Heinrich
Schrewe doch jedes Mal spannend, wenn nach der letzten Verpaarung die ersten
Nachkommen mit dem geplanten Gendefekt zur Welt kommen. Eine Knock-out-Maus
lässt sich zwar genetisch exakt planen, die Auswirkungen des Genverlustes sind
aber oft überraschend.
Schrewe: "Es kann sein, dass man einem Gen wichtige
Funktionen im Organismus zuschreibt, dann aber feststellen muss, dass kein
Phänotyp zu beobachten ist, dass also die Tiere dann doch sich normal
verhalten."