7. Tag, Mittwoch, 11. Juli
Kirche und Sonnenfinsternis

Von unserem Hotel Mataveri aus war es ein kleiner Spaziergang. Vorbei an Geschäften und Kneipen die Te-Pito-Te-Henua-Avenue hinauf zur " Iglesia de Santa Cruz". Es galt ein paar Straßen zu überqueren, auf denen die Autofahrer sehr sorgfältig aufpassten, niemandem ein Leid anzutun. Die Insulaner haben im Laufe ihrer tragischen Geschichte zu viele Menschenopfer bringen müssen - es reicht ihnen jetzt! Und die Touristen? Noch haben sie hier einen guten Ruf.

Unten an den Bordsteinkanten waren die Straßennamen mit Farbe angepinselt. Vorgärten boten Einblicke in die uns ungewohnte Flora. Geschäftsleute und Passanten waren freundlich und keineswegs aufdringlich. Sie beobachteten uns aufmerksam und zurückhaltend. Sie freuten sich, wenn sie von uns in ihrer Sprache begrüßt wurden und riefen den Gruß lachend zurück:

"IA ORANA OE !"

Wir waren pünktlich. Sonntäglich gewandet begrüßten sich die Rapanui untereinander, begaben sich in Grüppchen ins Kircheninnere, nahmen fröhlich quasselnd ihre Plätze ein, aber erst, nachdem sie Gehbehinderte und Blinde mit günstigen Sitzplätzen versorgt hatten. Die vorderen Plätze kamen der Musikkapelle zugute; es wurde schon leise geprobt: Akkordeon, Schlagzeug, Flöten, Gitarren. Die Kirche füllte sich schnell; wir fanden einen Platz nahe eines im Mittelgang aufgestellten Tischleins mit weißer Spitzendecke. Darauf ein Körbchen Hostien, ein Krug Wein und Blumen, die echten im Wasser, die unechten bunt herum garniert. Türen und Fenster waren weit geöffnet, Durchzug sorgte für Chaos zwischen Blumen und Hostien. Geduldig brachte meine Banknachbarin alles wieder in Ordnung. Während des Gottesdienstes beschloss sie, neben dem Tischchen stehen zu bleiben und hier zu beten und zu singen. So hatte sie alles einfacher im Griff. Die Messe verlief nicht viel anders als bei uns, spanisch halt. Als Lateiner kam Heinz mit dem Ablauf der Zeremonien gut zurecht, es gab wohl auch kaum Unterschiede zwischen der Kirche zu Hause und hier. Ich kapierte nichts, wie zu Hause auch. Aber mitsingen konnten wir beide! Die Texte wurden mittels Projektor an eine weiße Wand geworfen, die Sprache war Rapanui und die Melodien einfach wie immer in der Kirche. Während des Gottesdienstes durften wir Fotos machen: kurzer Blickkontakt, Lächeln - und schon wurde sich in Positur gestellt. Auch die Stimmen wurden lauter, als kämen sie mit aufs Foto. Ich reichte die Kamera durch, jeder besah sich das Display bis es ausging, dann bekam ich meinen Fotoapparat wieder zurück. Kein unwilliges Grummeln, kein missbilligender Blick - nicht mal vom Pfarrer. Zum Dank fotografierte ich ihn auch. Er schien mit seinem Bild zufrieden zu sein, Gott möge es ihm nachsehen. Wahrscheinlich war er Chilene vom Festland und wartete auf Ablösung.

Wir nutzten nach dem Gottesdienst die Möglichkeit, einige Statuen zu fotografieren. Jungfrau Maria mit Vogel (s. Vogelmannskult) auf der Krone, ihr Kind ebenso leichtsinnig im Arm haltend, wie wir es aus unseren Kirchen kennen. Ihren Mantel hat sie nützlicher-weise nach innen geklappt. Ernst wie ein Moai, schaut Jesus. Seine Langohren sind bis zu den Schultern heruntergezogen, den Kopf schmückt ebenfalls ein Vogel. Jesus hält sein Herz in der Hand, versehen mit passend christlichem Attribut, dem Kreuz.

Das Taufbecken in Pater Englerts Gedächtnisnische ist voll in Rapanui-Hand, was mag wohl hier in eingelassener Rongorongo-Schrift festgehalten worden sein?

Am Ausgang reckt der Hl. Georg kühn seine Flügel über den verendenen Drachen.

Und Sebastian neben dem Weihwasserbecken lässt schmerzvoll die Flügel hängen. Darüber tröstet nicht einmal die frische sonntägliche Blumengirlande hinweg.

Stülpt sich nun der christliche Glaube über den Götterglauben oder umgekehrt? Jedenfalls ist es eine muntere Mischung zwischen christlichen und heidnischen Symbolen: Was kann da noch schiefgehen? Skurril.
"Doppelt genäht hält besser"

Auf dem Kirchenvorplatz verkaufte man CDs mit Kirchenliedern. Wir durften mit Euro bezahlen, nachdem ein kompetenter Mann den Verkäuferinnen grünes Licht gegeben hatte.

Im Übrigen sind die Schulen inzwischen so eingerichtet, dass auf der Insel Abitur gemacht werden kann, zum Studium geht es dann aufs Festland. In Arbeitsgruppen pflegt man die fast schon ausgestorbene Sprache der Rapanui. Allerdings in lateinischer Schrift.

Aus dem Iwanowski

Eine der herausragendsten Gestalten der Osterinsel des 20 Jahrhunderts war ein Deutscher, der Kapuziner-Pater Sebastian Engler. Am 17. November 1888 wurde er in Dillingen in Bayern geboren, er hatte 16 Geschwister. Nach dem Gymnasium trat er in den Orden der Kapuziner ein und studierte Theologie. Den ersten Weltkrieg erlebte er als Feldkaplan in Frankreich, dann ging er nach Chile, um 12 Jahre bei den Mapuche zu missionieren, bevor er auf die Osterinsel kam. Hier blieb er bis zu seinem Tod und neben seinen seelsorgerischen Aufgaben hatte er Zeit, sich eingehend und mit einigem Sachverstand mit der Kultur und den Kunstwerken der Insel zu beschäftigen. Als er nach Araukarien ging, hatte er, ganz Kind seiner Zeit, eine sehr genaue Vorstellung von seinen Schäflein: Niemand wird sich wundern, wenn ich sage, dass der Indianer einer tiefer stehenden Rasse angehören als wir Europäer."

Über die Rapa Nui dagegen schrieb er:

Ihrem Charakter nach sind die Eingeborenen ganz anders als die Indianer Südamerikas. Sie sind intelligent, haben eine äußerst rasche Aufnahmefähigkeit, eine lebhafte Fantasie, sind sehr unterhaltsam und gesprächig - manchmal zu sehr!" (Beide Zitate aus Hermann Fischer: Schatten auf der Osterinsel. Von vielen wird der Pater heute immer noch wie ein König oder Heiliger verehrt, er tat viel für die Rapa Nui. Aber auf der anderen Seite hat er auch immer heftig versucht, sie von ihrem heidnischen Glauben abzubringen und damit sicherlich zum Verschwinden von Traditionen und Bräuchen beigetragen. Viele Rapa Nui beschuldigen ihn auch, sich zu sehr der Verwaltung von William Balfour untergeordnet und sich dessen Wünschen gebeugt zu haben, statt für die Rechte der Insulaner einzutreten.

In einem der Straßencafé noch eine Empanada und eine Tasse Nescafé (Es gibt immer nur Nescafé). Gestärkt und gut gelaunt konnten wir jetzt der totalen Sonnenfinsternis entgegensehen. In unserem Hotelzimmer rüsteten wir uns mit den allseits bekannten dunklen Papp-Spezialbrillen aus, dann brauchten wir uns nur noch vor die Tür in den schönen Garten zu setzen. Hier erwarteten wir und auch andere Gäste in aller Ruhe das Himmelsspektakel. Von links begann sich nun langsam der Mond vor die Sonne zu schieben. Bleiben wir nun hier in der stillen Abgeschiedenheit? Nein. Wir wollten an der Stimmung draußen teilhaben. Uns zog es zur Zeremonienstätte Tangariki. Es war ein Spaziergang vorbei an fahnen- und girlanden-geschmückten Hausfassaden, Autos und abenteuerlich gekleideten singenden und tanzenden Rapa Nui; mit Fernrohren und Kameras be-waffneten, ernsthaft in die Ferne schauenden Touristen. Jedes vorbeiziehende Wölkchen wurde misstrauisch beäugt: "Es wird sich doch wohl keines über die Totale legen?" (Als könnte man das sehen. Nur der Moai würdigte der Sonne keines Blickes. Er blickte starr landeinwärts wie eh und je. Bei ihm machten wir Rast, umgeben von einer Gruppe Japaner. Gruppe? Es war eine ganze Flugzeugladung. Denn LAN hatte heute unentwegt Touristen ausgeladen. Zehn Flieger sollen seit gestern Abend voll gelandet und leer wieder gestartet sein! Ach Gott ach Gott, die Möwe hat doch glatt den Anschluss verpasst. Nichts wie ´runter jetzt!

Hochspannung nicht nur in unserem japanischen Nest! Ist auch alles richtig eingestellt? Stimmen sind nicht mehr zu hören. Leises Rascheln der Windjacken beim Nachstellen der Kameras. Und die Brandung. Schlägt sie höher oder bewegt sie sich noch genau so wie vorhin? Die Wolke, die sich da links ´ranschiebt, die Dunkelheit hat sie übernommen. Kühler wird es. Der Wind bläst.

Endlich - stockdunkel -.

Nicht lange, dann überblickt Venus das Geschehen hier unten. Hoffentlich haben die Japaner sie nicht weggeblitzt, wenn sie sich nachher ihre Fotos anschauen. Keine Rührung bei den Moais?

Und schon wird es wieder hell, nicht so schnell, nicht so schnell! Nein,

gemächlich räumten die Japaner ihr Besteck zusammen. Sie hatten noch ein Weilchen zu tun. Und wir wanderten ebenfalls gemächlich zur Küste, trafen hier und da Bekannte aus unserer Gesellschaft: "Wie war´s bei Euch? Von wo aus habt Ihr SIE gesehen? Wie lange? Ein Glück mit der Wolke..." Was man sich in solch einer Situation halt zu sagen hat.

Wir alle schwebten auf der Welle

Dies auch mit den Rapa Nui, die vor Freude Feuerchen entzündeten und ihre Tänze wieder aufnahmen.

Nach dem Abendessen setzte sich unsere große Gruppe zusammen. Wir unterhielten uns über unsere Eindrücke dieses Himmelszaubers, der genau von 12:40 Uhr bis 15:34 Uhr ablief. Über die allmähliche Finsternis, den aufkommenden Wind kurz vor der Totalen, die heftiger werdende Meeresbrandung, die Stille von Menschen und Tieren während der Totalen, das Begrüßen des Diamantrings, das Wiederauflockern der Spannung, das Wiederaufhellen, das Nachlassen des Windes und der Brandung. Erleichterung? Nein, es gab keine Beklemmung. Und die Rapanui? Sie feierten und waren stolz, auf ihrer Insel ein einmaliges Erlebnis gehabt zu haben! Und das nun auch noch mit 3000 Touris! (Hof-fentlich haben sie gut an uns verdient). Das erste Flugzeug ging schon heute Abend wieder ab nach Santiago. Wir blieben noch eine Nacht und rumpelten früh am Morgen unsere Trollies in Richtung Eingang, wo wir von einer munteren Claudia und einem freundlich knurrenden Josef begrüßt wurden. Nach dem Frühstück ging unsere Fuhre zum Flughafen. Claudia liebte uns alle und legte uns zum Abschied ein Bändchen mit einem holzgeschnitzten Moai daran um die Hälse. Sie stammten aus dem Souvenirshop ihres Mannes. Gerührt bedankten wir uns. An das Theater mit den Bordkarten hatten wir uns inzwischen gewöhnt, wir kannten uns nun und tauschten, soweit es ging, untereinander. Dann entschwebten wir, erfüllt mit Erinnerungen an diese "Insel voller Wunder".